Freitag, 24. April 2009

Kunduz, abseits der Raketen





“Willkommen im PRT Kunduz“ steht über dem Eingangtor des deutschen Militär-Lagers im Nordosten, 7 Autostunden von Kabul entfernt. Tatsächlich schaudert es mich. Hier stehe ich, umgeben von Stacheldrahtzaun, meterhohen Abwehrmauern gefüllt mit Kies und engmaschig verdrahtet. Vor mir ein Weg aus Kiessteinen, der auf eine schwere Metalltür zuführt. 30 Meter Weg, die mir vorkommen wie in Orwells ‚1984’. Kein Mensch zu sehen, aber die Gewissheit, dass jeder meiner Schritte genau überwacht wird von Kameras, die ich spontan nicht ausmachen kann. Es heisst, die deutschen Soldaten fürchteten sich vor dem Afghanistan ‚da draussen’. Der Aufwand für äußere wie innere Sicherheit im Lager von Kunduz kostet den deutschen Steuerzahler einen Teil der über 600 Millionen Euro, mit denen das Afghanistan-Engagement mittlerweile zu Buche schlägt.
Ich werde freundlich und mit sächsischem Akzent begrüstst und abgetastet. Von einem Soldaten in wüstenfarbener Uniform und mit hellblauen Plastikhandschuhen. Er freut sich über mittlerweile 12 Tage ohne Raketeneinschlag im und um das Lager. Geschossen werde meist aus 6-10 Kilometer Entfernung, heisst es. Die Geschosse der ‚Insurgenten’, wie ein Gesprächspartner Taliban und andere Gegner nennt, hätten eine geringe Zielgenauigkeit. Es bleibt eine gefährliche Lotterie, vor allem für die ungeschützt wohnende afghanische Bevölkerung auf dem Plateau der Neustadt von Kunduz.
Im PRT ist man der Ansicht, die Präsenz von deutschem und internationalem Militär sei unabdingbar, sonst würde die Taliban in neuem Gewand wieder zurückkommen. 9/11 wird als Drohkulisse bemüht. Die zivil-militärische Zusammenarbeit will hier, anders als viele Hilfsorganisationen, keiner grundsätzlich in Frage stellen. Die meisten haben vermutlich nur eine schwache Ahnung davon, dass sie nicht als die Geleitführer der zivilen Helfer geschätzt werden.
Ich habe vor dem Besuch im PRT meinen pirhan tambon abgelegt. Die afghanische Kleidung, die mich in der Stadt unauffälliger machen soll, würde mir hier, milde gesagt, zum Nachteil gereichen.

In deutschen Medien erfahren wir über Kunduz kaum mehr als ein paar Schlagzeilen. Granateinschläge in Nähe des Militärcamps. Gefährlicher Norden. Stimmt das Bild? Was ist mit dem Alltag?
In Kunduz tickt die Zeit anders als in Kabul, wo Geschäftigkeit und Zeitdruck herrscht. Zeit und Pünktlichkeit spielen hier eine untergeordnete Rolle. Das ganze Zentrum ist ein einziger pulsierender Bazaar. Motorisierte Rikschas nehmen Passanten mit statt Taxen. Der Ausländer, der sich zu Fuss bewegt, ist eine seltene Sepzies.
Mich interessiert, wie meine afghanischen Gesprächspartner die deutsche und ausländische Präsenz hier im Norden wahrnehmen. Die Meinungen gehen auseinander. Die einen bescheiningen der Bundeswehr ordentliche Kontakte mit Behörden, Schuras und afghanischen Journalisten. Andere verweisen auf die Parallelwelt, in die das Militär sich zurückgezogen habe, mit Patrouillen aber ohne wahre Begegnung mit der Bevölkerung. Tatsächlich traf Frau Merkel bei ihrem Besuch neulich in Kunduz mit keinerlei Einheimischen zusammen.
Auch die in NATO-Kommuniqués regelmäßig behauptet gute Zusammenarbeit zwischen afghanischer Armee und ausländischem Militär könnte nicht mehr als eine blosse Behauptung zu sein. Meine Gesprächspartner, die beide für internationale Medien arbeiten, verweisen auf viele anderslautende Beispiele und auf die Tatsache, dass im Süden unverändert zum Teil rabiate Hausdurchsuchungen stattfinden. Das allein sei ihnen Beweis für das Gegenteil: „Afghanische Soldaten würden bei so etwas nicht mitmachen, weil es gegen die Traditionen unseres Landes verstösst“.
Über die Provinz Wardak, südlich von Kabul, höre ich heute Abend von berufener Seite zum ersten Mal, dass US-Einheiten bei ihren Versuchen, die 'Herzen und Köpfe' der Menschen zurückzugewinnen mittlerweile z.T. auch umsichtiger auftreten und sich Ratschläge anhören. Unter anderem sind zivil-militärische Experten in Krankenhäusern unterwegs, um sich die Nöte und Wunschlisten der Bevölkerung sagen zu lassen.

Zurück zum Norden: In Faizabad treffe ich auf eine Patrouille mit 7 deutschen Militärwagen, die im Schritt-Tempo den Berg herunterkommen und in diesem Fall mäßig bewaffnet sind. Weiter südlich von Kunduz, bei Pul-e-Khumri, sind es schwere Panzerfahrzeuge mit Maschinengewehr im Anschlag, die auf uns zu- und vorüberfahren. Wenn die ISAF oder Amerikaner auf der Strasse sind, gilt ein eigenes Strassengesetz: auf keinen Fall überholen. Sonst droht Lebensgefahr. Das führt regelmäßig dazu, dass sich hinter den Militärkonvois zum Teil kilometerlange Staus bilden, die für erheblichen Unmut sorgen. Diese Woche war unter anderem am Salang-Tunnel, einem wichtigen Nadelöhr für den Verkehr von Nord nach Süd, kein Durchkommen wegen eines Militär-Konvois, der im Schnee verrutscht war. Die Spannung ist zum greifen, wenn – wie neulich auf dem Hinweg nach Kunduz – eine NATO-Konvoi halt macht in einem Dorf und alle Afghanen in Sicherheitsabstand parken und abwarten müssen (Foto).
“So kann man die Bevölkerung nicht gewinnen“, sagt einer meiner Begleiter, „es wird höchste Zeit, dass unsere eigenen Streitkräfte das hier in die Hand nehmen können.“

Möglicherweise könnte sich die Lage in der Provinz Kunduz für das deutsche Militär verschlechtern. Grund sind die Ereignisse vom vergangenen Monat: eine Sondereinheit des US-Militärs – eine Spezialtruppe unter den ‚special forces’ – war ohne Vorankündigung und zur Empörung der Deutschen auf dem Militärflughafen in Kundus gelandet und dann weiter nach Imam Saheb geflogen, wenige Kilometer entfernt. Dort soll angeblich eine kleine Anzahl verdächtiger Terroristen Unterschlupf gefunden haben. Was dann passiert ist hört sich grundsätzlich verschieden an, je nachdem mit welcher Seite man spricht: offizielle deutsche und us-amerikanische Vertreter reden von einem berechtigten Eingriff aufgrund einer konkret vorhandenen Gefahr. Afghanische Behörden und Medienvertreter, die sich vor Ort ein Bild gemacht und auf beiden Seiten recherchiert haben, sprechen von fünf Unschuldigen, die dabei ums Leben gekommen seien und einem falschen Alarm. Die Wahrheit übt sich in Geduld.
Deutsche Gesprächsparnter, die ich in Kundus treffe, meinen zuversichtlich, das Vorgehen der US-Einheiten im unmittelbaren Einsatzgebiet der Deutschen würde sich nicht negativ auswirken. Meine afghanischen Gesprächspartners sind wiederum gänzlich anderer Ansicht. „Die meisten meiner Landsleute unterscheiden nicht zwischen den einzelnen NATO-Staaten. Ausländer bleiben Ausländer.“
So füllt sich der Tag mit Ansichten, die sich wiedersprechen. Klar ist nur: Diejenigen, die diese widerstreitenden Ansichten am Besten miteinander austauschen sollten (siehe die NATO-Strategie, die ‚Hearts and Minds’ der Bevölkerung zu gewinnen) kommen gar nicht in Kontakt miteinander.

“Wenn ich eine Geschichte anzubieten hätte, dann über die Tschetschenen, die hier im Umfeld von Kunduz auftauchen“,sagt ein afghanischer Journalist, der auch für internationale Medien in Kundus arbeitet. 20 Tschetschenen oder mehr seien mittlerweile im unsicheren Bezirk Chahar Dara gezählt worden, auch Usbeken in ähnlicher Anzahl. Gouverneurs-Amt und lokale Sicherheitsbehörden hätten diese bestätigt.
Ob sich dahinter Selbstmordattentäter verbergen oder Extremisten mit politisch-taktischer Mission ist unklar. Anwohner im Bezirk Chahar Dara berichten von sogenannten ‚Nightletters’ die im Dunkeln verteilt werden. Darin werden u.a. Frauen in einer der Kliniken von Chahar Dara gewarnt, ihren Beruf weiter auszuüben. Vor zwei Monaten ist afghanisches Militär angerückt. Der Konflikt dauert an. Nicht sämtliche aber viele Entwicklungsprojekte in diesem Bezirk von Kundus liegen auf Eis. Zwei weitere Bezirke gelten als unsicher mit ‚Taliban’-Aktivitäten.
Junge Menschen werden geworben für ein paar Hundert Dollar im Monat sich dem Aufstand anzuschliessen.
Auf den ersten Blick sehe alles von Aussen normal aus, auch das Leben in Kunduz, sagt ein afghanischer Journalist, aber hinter der trügerischen Ruhe sorgten sich viele Menschen um ihre Sicherheit. Eine Situation, die eine freie Wahl im August im Grunde unmöglich mache.
„Ich bin skeptisch geworden“, sagt eine Afghanin, die bei einer Frauen-NGO Kleinkredite vergibt, darunter auch an junge Frauen im Beruf. Der Fortschritt insbesondere für Frauen in Kunduz in den letzten Jahren sei deutlich, aber jetzt möglicherweise gefährdet. Sie berichtet als Freelancerin für ein Monatsmagazin. In Läden und auf offener Strasse Interviews zu führen empfindet sie mittlerweile als Belastung.
Optimistischer ist Fatima, die jede freie Minute nutzt um entweder beim Radio mit einem männlichen Kollegen eine Live-Talkshow zu moderieren oder in einer Theatergruppe probt. Radio Rozha ist ein Frauen-Radio, das vor fünf Jahren gegründet wurde und in dem mir offene Redakteurinnen begegnen. Das Programm ist überwiegend von Programmen für weibliche Hörer konzipiert. Mittlerweile kann sich der Sender selbst tragen, aus Werbe-Einnahmen, erklärt die stellvertretende Chefredakteurin zuversichtlich.
Kunduz wie auch Faizabad und Badakhshan sind Provinzen, in denen die Menschen nach zivilen Projekten dursten. Das kann die Eröffnung einer Bibliothek sein oder eine Kulturorganisation, bei der endlich der Traum von einer Theatergruppe Wirklichkeit wird.

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