Mittwoch, 15. April 2009

Buchhändler von Kabul, revisited





“Der Buchhändler von Kabul“. Als ich vor 5 Jahren zum ersten Mal nach Afghanistan kam las ich dieses Buch angeregt, wie viele Tausende andere. Und hielt es für die Wahrheit. Längst hat die norwegische Autorin T.Seyerstadt, die sich zur Recherche mehrere Monate bei der Familie des Buchhändlers in Kabul eingenistet hatte, ein schlechtes Gewissen. Seit Jahren läuft in Norwegen ein Prozess. Der Buchhändler und seine Familie bezichtigt die Autorin der Fälschung und der Verletzung der Familienehre, was in Afghanistan schwer wiegt. Gestern sprach ich mit einem der Söhne des Buchhändlers. Drei Jahre hat er selbst in Norwegen gelebt. Und ist desillusioniert wieder zurückgekommen, auch weil er die immer selben Fragen zu dem Buch nicht mehr hören konnte.
Er nennt eine Episode im Buch, in der eine Verwandte geschildert wird, wie sie eine voreheliche Beziehung pflegt, was – wie es im Buch steht – Gefahr für Leib und Leben bedeuten kann. „Seyerstadt hat so das Leben von mir und einiger anderer Leute gefährdet“, sagt er mit unterschwelligem Gram, „und sie hat unsere Familie zerstört“. Seit Erscheinen des Buchs lebe die Mutter im Ausland, sei alles nicht mehr wie vorher.
Die Autorin habe der Familie zur Entschädigung 1 Million Kronen als gütliche Einigung angeboten. Sine Familie könne das nicht akzeptieren, sagt Miraj. Sie kämpfe weiterhin für drei Ziele: den Stopp des Buchdrucks weltweit, eine öffentliche Entschuldigung der Autorin sowie die (rückwirkende) hälftige Beteiligung an allen Einnahmen, die das Buch weltweit erzielt hat.
Das ist hoch gezielt, zu hoch vermutlich. Wo also hin mit dem Schmerz?

Im Laden (Bild), der auch die Wohnung beherbergt und der bis zur Decke mit Büchern gedrängt vollsteht, liegt längst ein anderer kleiner Einband aus, den Mirajs Vater, der Buchändler von Kabul, selbst geschrieben hat. Ohne Wut im Bauch versucht er darin, Fragen an sich und über die Fremde, die in das Leben der Familie eindrang, von der Seele zu schreiben. Auch das Büchlein ist mittleweile in ein paar Sprachen übersetzt.
Ich sitze mit Miraj und trinke Tee. Er regt sich über die Rückständigkeit seiner Landsleute auf. Über die Kontroll- und Zensurbehörde beim Ministerium für Information und Kultur vor allem, die jedes Buch prüfe und viele der wissenschaftlichen Werke in Englisch über Anatomie, Medizin und Biologie, die der Buchhändler von Kabul aus dem Ausland bestellt, beanstandet. Er zückt einen kiloschweren Band, eine Enzyklopädie aus England über Pediatrie und Körperflüssigkeiten. Es dauere oft Monate, bis die Kontrollbehörde das Buch zum Verkauf freigebe. Das mache ihn rasend. „Wir leben im Zeitalter des Internets“, sagt er, „wo jeder in Kabul surfen und einsehen kann, welche pro- und anti-islamischen es gibt.“

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