Sonntag, 28. Februar 2010

Der Mensch hinter der Meldung










Der Terror-Anschlag vom Freitag in Kabul hat erneut viele Menschen das Leben gekostet. Es passierte an einem Freitag zu, dem Feiertag, früh morgens, direkt am City Center, das im Parterre ein Café beherbergt. Einer der wenigen Orte in Kabul, der auch für Einheimische im Ansatz etwas von einer Caféhaus-Atmosphäre verströmt.
Die Toten solcher Anschläge bleiben vielfach abstrakt. Anna, eine Bekannte, hatte schon Entwarnung gegeben auf besorgte email-Anfrage aus dem Ausland, "keiner dabei, den wir kennen".
Es war voreilig, wie sich jetzt herausstellt. Unter den Opfern ist Séverin Blanchet, den zumindest Anna, ich und alle, die mit der Filmszene in Afghanistan vertraut sind, kennen. Er kam in einem kleinen guest house direkt neben dem city center unter. Das gleiche Hotel, in dem er immer abstieg. Er starb möglicherweis nicht durch die infolge des Anschlags ausgelöste Explosion, sondern durch gezielte Schüsse der Terroristen, nachdem diese den Eingang des guest houses gesprengt und sich Zugang verschafft hatten.
Séverin hat seit 2006 Pionier-Arbeit in Kabul geleistet mit den Ateliers Varan, einer französischen Dokumentarfilm-Initiative, die nicht nur in Afghanistan sondern in zahlreichen Entwicklungsländern aktiv ist und sich zum Ziel gemacht hat junge Interessierte und Talente in mit der Kamera, in Regie und Schnitt auszubilden. Über zwei Dutzend afghanische Autoren sind durch seine Schule gegangen in den vergangenen vier Jahren. Für viele eine einmalige, manchmal erste Erfahrung ihre visuellen Vorstellungen und Geschichten auf Film zu bannen. Viele der Filme sind mittlerweile in Europa und anderswo gezeigt worden. Weniger, weil sie cineastische Meisterwerke wären, sondern vielmehr weil sie Zeugnisse einer eigenen, afghanischen Handschrift sind. Denn die Geschichten die afghanische Filmemacher/innen erzählen unterscheiden sich wie man schnell errät von der Auswahl der Themen, der Motivation und dem wie erzählt wird deutlich von all den Filmen, die es über Afghanistan gibt. Und das hat Séverin verstanden und gefördert. Ein afghanischer Filmemacher schreibt jetzt aus dem Anlass: „Es hat uns Afghanen ermöglicht unsere eigene Wirklichkeit zu dokumentieren, eine Erzählform von innerhalb der afghanischen Gesellschaft zu finden. Wir brauchen jetzt nicht mehr auf Filme aus dem Westen zu warten, die etwas über Afghanistan erzählen.“:

„Severin himself was a big cinephile (...) a pioneer of cinéma vérité’s. Blanchet was a founding member of Atelier Varan in 1981 with his friend Jean Rouch. The filmmaker Jean Rouch was an anthropologist himself, and Varan was established to promote anthropological documentaries in third world countries. All films produced by the Ateliers Varan in Kabul which I’ve seen are based on cinema vérite in form and aesthetic and anthropology in content and narrative. What Severin did in Afghanistan was enabling Afghans to document their realities, to provide a narrative from inside. It’s no longer necessary to wait for westerners to make films about us, we have to look at ourselves and capture the realities of our everyday life. The 18 films produced by Varan students in Kabul are all considered to be a cinematic documentation of Afghan life and culture in the chaotic post-Taliban era. Severin was a cinema lover; he lived his life to share his passionate love of cinema with people of the world from Serbia to Algeria, from Colombia to Kabul, a love affair with a tragic end. His workshops will be regarded as a turning point in Afghan film history .“

Dienstag, 16. Februar 2010

Helmand, die Medien und ein fragwürdiger Feldzug












Zu der sogenannten Grossoffensive um Marjah in Helmand liegt wenig Gesichertes vor. Es gibt praktisch keine unabhängigen Quellen. Westliche Journalisten bewegen sich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nur in 'embeds', und in afghanischen Medien gab es zuletzt vereinzelte Radio-Reports aus Helmands-Provinzhauptstadt Lashkar Gah. Dafür ist die breite Öffentlichkeit fast ausschliesslich auf Informationen des US-, Nato- und afghanischen Militärs angewiesen, deren Pressemeldungen angebliche Erfolge feiern. Wie häufig in den vergangenen Jahren werden sie von den westlichen Medien wenig distanziert wiedergegeben.
Gut informierte Medien nennen die militärische Auseinandersetzung um Marjah "a minor symbolic military move", einen symbolischen Schritt von mäßiger militärischer Bedeutung mit anderen Worten. Der Autor des Berichts fragt u.a., warum es sich NATO und afghanische Streitkräfte nicht zur Aufgabe gemacht haben die für Handel und Verkehr so wichtige Ringstrasse zwischen Kabul und Lashgar Gah vom Einfluss der Taliban zu befreien.
Hier ist ein anderer Versuch, den vielfach ungeprüften Behauptungen der kampfführender Seite im Fall Marjah etwas Kritisches zur Seite zu stellen. Ein unumstrittener deutscher Afghanistan- und Taliban-Experte verweist auf diesen link, der "die mediale Metamorphose eines Lehmweilers zur 80.000 Einwohner-Stadt" beschreibt.

Offensiven in Helmand gibt es seit dem Jahr 2006. Die Zivilbevölkerung hatte dabei immer wieder Opfer zu beklagen. Auch diesmal scheint es nicht anders. Tritt nun ein, was von Anfang an als Dilemma erschien: nämlich mehr Schutz der Zivilbevölkerung bei gleichzeitig massiverem militärischen Vorgehen?
Effektiv wäre die Aktion wenn sie neben der sichtbaren Vermeidung ziviler Opfer es schaffen würde effektive Regierungsinstitutionen zu schaffen, Infrastruktur und Perspektiven für Handel und eine Alternative zum Opium-Anbau. Viele Taliban würden sich dann vermutlich automatisch reintegrieren (lassen).
Die Chance dafür aber stehen nicht gerade gut. Die militärischen Auseinandersetzungen werden, nach allem was wir aus den vergangenen Jahren wissen, vielfach von Stammesrivalitäten mitbestimmt. Karzai (für seinen Machterhalt) aber auch die ausländischen Truppen nutzen diese aus bzw. halten sie, wissentlich oder unwissentlich, am Köcheln. Den benachteiligten Stämmen geht es ihrerseits vielfach um Teilhabe an Millionen-Beträgen aus der Entwicklungshilfe. Und es stellen sich weitere Fragen.
Eine wirklich neue Agenda, nicht nur für Helmand, bräuchte Zeit und ist auf Fehleranalyse aus den vergangenen Jahren angewiesen.
Interessant hierzu ist ein neuer Bericht, maßgeblich verfasst von US-Offizieren und Geheimdienstlern. Darin wir unuwunden zugegeben, was in denen vergangenen Jahren Grundlegendes falsch gemacht worden ist. Es heisst dort u.a.:

"According to a recent complaint by General McChrystal, senior decision-makers are being forced to turn to the mass media in search of the information they need on Afghanistan. The intelligence community is preoccupied with gathering a flood of highly detailed information on insurgents and has thus failed to provide vital general information on the environment in which the Taliban operates. In order for commanders and politicians to receive relevant data in a timely fashion in the future, the intelligence services must review the manner in which they operate in Afghanistan.
The central problem with intelligence gathering in Afghanistan is the great emphasis placed on detailed information on insurgents. This information gathering takes place at the expense of more general information concerning the environment in which they operate. More insider information needs to be gathered directly at the grassroots level concerning the political, economic, and cultural developments affecting the population. The availability of such information would facilitate counteracting the Taliban’s influence and help prevent further attacks. Census data and transcriptions of popular radio talks shows or of Shura-meetings could all provide valuable information, in particular regarding the willingness of the locals to cooperate with the International Security Assistance Force (ISAF)..."

sowie - banal, aber hier einmal ausgeschrieben -
"The second inescapable truth asserts that merely killing insurgents usually serves to multiply enemies rather than subtract them (...)"

Das liest sich bemerkenswert klar. Und doch haben wir, die 'Nichtmilitärischen', es längst geahnt oder selbst erfahren und früher schon mitbekommen. Welche konkreten Konsequenzen werden aus solchen Analysen gezogen? man wüsste es gerne. 
Tut man den recht ausführlich recherchierten Bericht des Spielgel zu Kundus (vorletzte Woche) hinzu, dann verläuft hier sogar ein Bogen zu der o.g. Studie.

Zugleich wird zivile Aufbauhilfe nicht nur im Süden immer mehr zurückgedrängt. Vielfach scheinen bekannte Hilfsorganisationen, die von staatlichen Entwicklungshilfegeldern abhängen, sich als Alibi ihrer eigenen Regierungen mißbraucht zu fühlen. Ein ziviler Mitarbeiter, der in diesem Dilemma vor Ort arbeitet, schreibt mir dazu:
„(...) The NGO I am working for does exactly what their government wants them to do, which is to establish a highly visible presence around Mazar where their pityful army of 500 or so is stationed. In other words, provide a 'human shield' of popular satisfaction with their troops, so that their army is less hated.“ Ähnliche Anzeichen gibt es in Kunduz.