Dienstag, 18. November 2014

Big Data am Hindukush ?


ODER: WIE UMFRAGEN UND STUDIEN VERSUCHEN, AFGHANISTAN FASSBAR ZU MACHEN Heute ist der 18. Dezember. Die Asia Foundation, laut website eine Organisation mit Sitz in den USA, die sich der Stärkung von Zivilgesellschaften in 18 asiatischen Ländern verschrieben hat, veröffentlicht zum zehnten Mal ihren jährlichen Survey of the Afghan People. Das ist viel, in einem Land, das bislang über wenig gesicherte Statistiken verfügt. Nicht einmal die genaue Zahl der Einwohner von Afghanistan ist bekannt. Auch ein Melderegister für die Menschen im Land gibt es bislang nicht, weshalb bei jeder Wahl bisher maßgebliche Manipulationen und Fälschungenn möglich waren, auch der massive Handel mit Wählerausweisen. Zugleich – und als Folge internationaler Gelder, deren Bürokratien und Institutionen bemüht sind, ihre Investitionen nach Afghanistan mit positiven Schlagzeilen zu belegen – boomt das Geschäft mit Studien und Umfragen in diesem Jahr des Abzugs des internationalen Militärs. Das scheint kein Zufall zu sein. Ein wenig ensteht der Eindruck, mittels dieser Studien könne über Big Data der Eindruck wettgemacht werden, Afghanistan lasse sich nicht beherrschen, schon gar nicht wissenschaftlich. Viele der oft über 100 Seiten starken Untersuchungen kommen mit grossen, bunten Diagrammen und ästhetisierenden Grafiken daher. Sie wirken oft wie eine gute einfache Antwort auf komplexere Wirklichkeiten. Afghanistan lässt sich also doch domestizieren – und somit für uns Auswärtige verstehen – lautet die Botschaft. In diesen Trend der Umfragen passt auch eine neue Studie "People's Expectations and Priorities from the President" der Kabuler Tageszeitung Hasht-e Subh (zu Deutsch '8 Uhr am Morgen'). Die Zeitung ist bei den wenigen regelmäßigen Lesern in Kabul beliebt, aber durch statistische Untersuchungen bisher noch nicht aufgefallen. Nun wird auf 107 Seiten dargestellt, was die afghanische Bevölkerung von der neuen Ghani-Regierung erwartet. Finanziert wird die Studie von Tawanmandi, „einem Konsortium zur Stärkung der afghanischen Zivigesellschaft“, so die website, das von den Regierungen Dänemarks, Norwegens, Schwedens, der Schweiz und Großbritanniens finanziert wird. Um es vorwegzunehmen. Die Ergebnisse der beiden hier erwähnten Studien bleiben – gerade im Verhältnis der investierten Mittel - sehr allgemein. Man könnte auch sagen unpräzise. Bei näherem Hinsehen stellen sich zugleich eine Reihe von Fragen an Exaktheit und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse. 54,7 Prozent der Afghanen, so der Survey der Asia Foundation, finden, dass Afghanistan sich „in die richtige Richtung bewege“. Zugleich – so die Umfrage von „Hasht-e Subh“ - erwarten mehr als 90 Prozent der Afghanen von der neuen Ghani-Regierung, dass sie Korruption zunächst und vor allem auf Ebene der Regierung bekämpfen solle, getreut dem Motto 'Der Fisch stinkt vom Kopf her'. Wer in Afghanistan von Berufs wegen Interviews vorbereitet und geführt hat weiß, dass es Zeit braucht, damit sich die Menschen dem Fremden für sein fragendes Unterfangen öffnen – gleich ob dieser Fremde ein Ausländer ist oder ein Einheimischer aus einer der afghanischen Metropolen. Durchschnittlich 38 Minuten pro befragter Person (Asia Foundation) erscheinen damit als recht wenig Zeit pro Befragung, zumal acht von zehn Befragten auf dem Land befragt worden seien, so die Studie. Hinzugefügt werden muss: auf dem Land sind Fragekonzepte mit multiple choice-Verfahren insgesamt fremd, selbst wenn es Menschen betrifft, die sich vielleicht schon zum zweiten Mal an der Umfrage beteiligen. Natürlich liegt die Idee, vor allem Landbevölkerung für solche Studien zu befragen auf der Hand: denn von ihr erfährt man in unseren Medien wenig. Zugleich schlägt hier der Puls des Landes. Allerdings ist Vorsicht bei der Rezeption der Daten noch aus einem anderern Grund angebracht: Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass oft schon Besuche bei Familien im Speckgürtel bzw. in den unmittelbaren Einzugsgebieten der grösseren afghanischen Städte als rural population in die Statistik einfliessen. Oft genug bleiben die tief in Tälern und auf Bergmassiven lebenden Afghanen nicht erreichbar – zum einen weil es zeitlich wie finanziell aufwendig ist. Zum anderen aus den bekannten Gründen der Sicherheit. So spiegeln die Ergebnisse dieser wie anderer Studien nur bedingt die Ansichten der 'Afghanistan profonde' und damit des Landes in seiner Tiefe wieder. Die Asia Foundation hat ihre über 9.000 Interviewpartner vom vom 22.Juni bis 8. Juli dieses Jahres befragt, lesen wir. Also unmittelbar nach der umstritten Stichwahl um das Präsidentenamt und bevor das politische Hickhack um gefälschte Stimmauszählungen sich zuspitzte. Kein glücklicher Zeitpunkt. Tatsächlich zeichnete sich an der Stelle die Paralysie des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft längst ab. Und natürlich blieben die Wähler davon nicht unberührt. Insofern darf gemutmaßt werden, inwieweit sich die für die Studie Befragten überhaupt freimütig geäußert haben. Das bestätigt die Antwort einer maßgeblichen Person in dem Kontext, die anonym bleiben möchte: Solche „Studien sind breit angelegt und mit der Absicht, alles abzudecken. Von Sicherheit über Wirtschaft bis hin zu Frauenrechten. Das hat Vorteile. Es beinhaltet aber auch das Risiko, zuviel auf einmal zu wollen.“ Je tiefer die Fragen zielten, ergänzt dieser Experte, desto grösser die Wahrscheintlichkeit, dass die Befragten sich einer Antwort oder dem ganzen Interview verweigerten. Im Kontext konflikt-sensibler Wissenschaft in Kriegs- und Krisengebieten erscheint dies nur logisch. Zugleich beschreibt es den schmalen Grad, auf dem Umfragen in Afghanistan seit Jahren stattfinden. Offen ausgesprochen wird dieses Dilemma von der Forschung nicht. Vielmehr spricht die Methologie mit der notwendigen Diplomatie von Standortnachteilen, denen man mit möglichst grosser Sachlichkeit und Genauigkeit zu begenen versuche. Meinen eigenen Erfahrung in diversen Projekten in Afghanistan in den letzten Jahren besagen: es braucht in der Regel viel Vertrauen – und damit Zeit und Einfühlvermögen – damit der Fragende von der Interviewten Person eine möglichst offene, authentische und damit belastbare Antwort bekommt. Im umgekehrten Fall kann bei den Befragten – nicht ganz zu Unrecht – der Verdacht entstehen, dass mit den Umfragen Politik gemacht würde. Tatäschlich interessant sind in den beiden genannten Studien Zahlen, für die man etwas länger stöbern muss. So haben 77 % der befragten Afghanen Angst, wenn sie auf ISAF-Truppen treffen. Dies ist in etwa das Gegenteil des Bildes, das die offizielle Politik vermittelt. Leider liefern die Umfragen keine Antwort auf das 'Warum'. Ähnlich ist es beim Blick auf den bewaffneten Widerstand. Immerhin 32 Prozent äußern hier „grosse“ oder „eine gewisse Sympathie“ für Taliban und Aufständische. Auch hier bleiben die Hintergründe unklar. Und dass zwei Drittel der Befragten die jüngsten Wahlen als "frei und fair" beschreiben, deckt sich kaum mit dem Bild in der öffentlichen Meinung in Afghanistan, wie sie sich gegen Ende des ersten der beiden Wahlgänge immer klarer herausschälte. Womit ein weiteres Defizit angesprochen ist: die Untersuchungen erschöpfen sich allein im quantitativen Sammeln von Daten. Eine qualitative Analyse, die Beweggründe und den Wechselbezieungen von Ursache und Wirkung nachgeht, sucht man vergeblich. Noch einmal der oben genannte Fachmann dazu: „Ich wünschte, wir könnten den Dingen tiefer auf den Grund gehen. Mehr nach dem 'warum' fragen, denn nach dem 'was'. Das bedaure ich. Vieles von der Komplexität, die in den Antworten steckt, bleibt so unerschlossen.“ Damit aber steckt die Wissenschaft genau in jenem Dilemma, die sie einer anderen Zunft von Interviewenden, zum Beispiel den Journalisten, gerne vorwirft. Beide Seiten treten an dem Punkt auf der Stelle. Klar wird auch: die qualitiative Analyse von Daten im afghanischen Kontext steht – entgegen dem, was die Studien gerne suggerieren – oft noch aus. Dafür müsste vor allem mehr interdisziplinär gearbeitet werden. Generell gilt: Überwiegend werden vergleichbare Afghanistan-Studien noch immer von ausländischen Wissenschaftlern angeleitet, konzipiert und ausgewertet. Die Teams aus afghanischen Interviewern, die die Menschen vor allem auf dem Land befragen und dort als kulturelle Türöffner dienen, waren anfangs oft ein nützliches Werkzeug. In den vergangenen Jahren bemüht man sich nun nach und nach, sie stärker in die konzeptionelle Arbeit einzubinden. Mittlerweile gibt es unabhängige Beratungsunternehmen aus jungen, im Ausland studierten afghanischen Akademikern, die vergleichbare Studien selbst anlegen und veröffentlichen. Auch sie bleiben allerdings häufig genug auf internationale Hilfsgelder angewiesen. So bleibt ein sehr ambivalenter Eindruck zurück beim Lesen von Studien, die Exaktheit und eine neue Ära von Big Data für Afghanistan beanspruchen. Laut Survey der Asia Foundation gehören neben den USA übrigens Japan, Indien und Deutschland zu den meistgenannten Ländern für Entwicklungshilfe in Afghanistan. Ob sie damit automatisch auch die anerkanntesten ('recognized') Ländern sind, wäre eine qualitative Nachfrage wert. 40 Prozent der Befragten geben jedenfalls an, gar nicht zu wissen, mit wessen Geld das jeweilige Hilfsprojekt vor ihrer Haustür finanziert worden ist. // Zum Thema siehe auch hier hier. // Zur Fehlen statistischen Materials in Afghanistan bezogen auf die wiederkehrenden Schwierigkeiten, eine echte Volkszählung durchzuführen, inklusive der Problematik die Frage nach der ethnischen Herkunft zu thematisieren siehe Ali Karimis 'Afghanistan's Statistical Drought' u.a.

Sonntag, 16. November 2014

In Pope Francis' footsteps?


Due to technical problems this blog is back now only. I published a series of observations in the aftermath of the second round of the Presidential elections here, here, here, here and here. From the first weeks of Ashraf Ghani's government of national unity it becomes clear that he wants to distance himself in many ways from his predecessor Karzai. It needs to be seen though - and can only be answered in time - which of the symbolical steps Ghani has taken over the first couple of weeks can lead to substantially new governmental structures he aims at. That goes especially for the case of the Kabul Bank trial and the announced reform of the judiciary as one of the biggest challenges in order to reform some of the major Afghan institutions. A bit like with the election of pope Francis, a number of new habits are there (see the way Ghani's Christian-Lebanese wife Rula is taking part in the public debate on the issue of women's role in society), it remains unclear if and how the political centers of power sourrounding the new head of state will follow way.