Sonntag, 26. April 2009

Ehegesetz: Schiiten siegen über Schiiten




Im Westen nichts Neues: In der Berichterstattung um das umstrittene afghanische Ehegesetz zementieren deutsche Medien ihre Vorurteile gegenüber Afghanistan und seinen Gläubigen. Der Tagesspiegel hat mir dieses Stück abgenommen.

Immer mehr Anzeichen sprechen dafür, dass Präsident Karsai das umstrittene Gesetz entschärfen wird, wie von der internationalen Gemeinschaft in den wichtigsten Punkten gefordert. Karsai hat heute selbt zugegeben, er habe nicht gewusst, was genau er da unterzeichne. Er habe seine Berater für solche Dinge.

Hier ist ein Versuch von Scott Bohlinger, einem Bekannten, der ebenfalls journalistisch in Afghanistan aktiv ist, Licht in das Verhältnis von islamischem Recht und schiitischem Rechtsverständnis zu bringen, denn nur darauf bezieht sich das umstrittene Gesetz.

Interessant ist auch eine Entdeckung, die ich in der Bibliothek einer Kabuler Hochschule mache:
“Dieser Text beschreibt die Bedingungen einer Ehe, in der der Mann seine Verpflichtungen gegenüber der Frau erfüllt und diese ehrt. Als Teil des Ehevertrags willigt der Mann ein, dass seine Frau sich weiterbildet. Er hilft ihr im Haushalt. (…) Im Fall einer Scheidung werden die Güter zwischen Mann und Frau anteilig aufgeteilt. (…) In diesem Buch werden die Bedingungen einer gedeihlichen Ehe aufgezählt. Sie sind vereinbar im Rahmen der Shari’a und der afghansichen Gesetze. In einigen Fällen werden vergleichbare Fälle aus anderen Ländern herangezogen“.
So heisst es in einem kleinen Band, der in der Bücherei der Ketab-Instituts in Kabul steht. (Bild)
Das Ketab-Institut ist eine schiitisch geprägte Privat-Universität in der Hauptstadt. Fast alles in dem kleinen Heftchen steht in deutlichem Widerspruch zu den Negativ-Schlagzeilen über Afghanistans Schiiten und über das umstrittene Ehegesetz in den vergangenen Wochen.
Der Westen macht es sich leicht: eine kleine Gruppe radikaler Geistlicher wird mit einem Land und seiner vermutlich fortschrittlichsten Bevölkerungs-gruppe gleichgesetzt.
Tatsächlich vertreten Afghanistans Schiiten, von denen der grösste Teil der Ethnie der Hazara angehört, vergleichsweise offen Positionen in Fragen der gesellschaftlichen Moral.
Das Ketab-Institut, gerade einmal ein Jahr alt, ist so etwas wie die Speerspitze der säkulären Schiiten in Afghanistan.
In der Bücherei stehen neben Schriften zum Zivilrecht auch Werke von Nietzsche. 700 Studenten erhalten hier Unterricht in den Geisteswissenschaften Soziologie, Politologie, Philosophie sowie Islamstudien und Jura. Die Sharia und ihre Auslegung werden hier wohlgemerkt nicht gelehrt.
“Die Schiiten in Afghanistan sind eine dynamische Gruppe und wir lassen nicht zu, dass dieses Bild durch das neue Ehegesetz verfälscht wird“, entgegnet Mohammad Ahmadi zuvorkommend. Der Präsident nennt das Ketab-Institut einen wichtigen Akteur im aktuellen Streit um das Ehegesetz.
Schon vor Monaten hätten er und seine Kollegen versucht, die umstrittenen Passagen zu entschärfen. Parlament, Justizministerium und der Präsidentenpalast seien in die Gespräche mit einbezogen gewesen. Eine leicht entschärfte Version des Gesetzes-Textes, die der Frau ausdrücklich das Recht bescheinigt, das Haus eigenständig zu verlassen, sei aber bis heute nicht im offiziellen Amtsblatt erschienen.
“Karsai scheut den Konflikt mit den Konservativen“, erklärt Ahmadi, „er hat ausserdem schwache Berater. Und er hat die Dimension der Sache ganz offenbar unterschätzt“, so Ahmadi. Karsais Kompromiss-Kurs gegenüber konservativen Mullahs auf sunnitischer wie schiitischer Seite sei es auch, der die Taliban wieder stark gemacht habe.

Das Gegenstück zur säkularen Kateb-Universität ist das wenige hundert Meter entfernt liegende Khatam Al Nabi’in-Seminar. Der imposante Bau mit der blauen Kachel-Kuppel, die das gesamte Parlamentsviertel überragt, ist ausschliesslich mit iranischen Geldern finanziert, heisst es. Der Ayatollah Mosheni, der sich den Führer der Schiiten in Afghanistan nennt, gibt hier den Ton an. Wirklich Rückhalt in der Bevölkerung geniesst er nicht, wenn ich meinen Gesprächspartnern Glauben schenke.
“Die Mehrheit der afghanischen Schiiten lehnen seinen Führungsanspruch ab. Er hat eine Vergangenheit als Mujahed-Kämpfer und er ist ein Paschtune. Wie Präsident Karsai stammt er aus Kandahar. Die meisten Schiiten sind Hazara und trauen ihm nicht“, meint Ali Karimi, Dozent an der Universität Kabul.
“Mosheni steht für eine politisch-ideologische Auslegung des Islam wie sie im Iran praktiziert wird. Er hat zwanzig Jahre dort im Exil gelebt“, sagt Ali Amiri, von der Kateb-Hochschule.
Er und seine Kollegen sind zuversichtlich, dass das Gesetz bis kommenden Monat entschärft wird. „Wie es aussieht wird es zu einer Reform kommen. Wir sind uns da sicher.“ Erste Gespräche mit einflussreichen Politikern, der Schlichtungskommission sowie dem Justizminister deuteten darauf hin. Demnach sollen 10 Artikel aus dem Gesetzestext herausfallen, darunter die umstrittenen Passagen, sowie 20 Artikel überarbeitet werden.
Neben den Punkten, die international für Aufsehen sorgen, macht sich die Ketab-Universität u.a. für das Recht der Frau stark, sich ihren Ehepartner unabhängig vom Willen des Vaters auszusuchen. Auch das unveränderte Recht auf Grund- und Boden für Eigentümer, die als drogenabhängig gelten steht auf der Streichliste.
“Wir brauchen eine moderne, rationale Auslegung des Islam“, argumentieren die Dozenten an der Kateb-Hochshule. „Die jungen Menschen haben viele Fragen an den Islam und ihre eigene Religion. Wir müssen sie argumentativ überzeugen, nicht mit Traditionen und Ritualen“, so Amiri.
“Der heilige Koran sagt: sei gut zu deiner Frau“, zitiert Insituts-Leiter Mohammad Ahmadi das heilige Buch, auf das sich auch seine internen Rivalen berufen. Es scheint, als stehe die Auseinandersetzung um ein neues Schiitentum in Afghanistan erst am Anfang.

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