Montag, 23. März 2009

Nawroz (Neujahr) I






Wir sind in Jebal-Saraj, 100 km nördlich von Kabul, auf dem Weg zur grossen Neujahrsfeier in Mazar-i-Sharif. Die entgegenkommende ISAF-Patrouille fährt mit drei Fahrzeugen im Konvoi, Maschinengewehr im Anschlag, durch die Innenstadt. Die Gesichtspartien der Soldaten, die durch die gepanzerte Montur zum Vorschein kommen, wirken angespannt. Sie sind kaum älter als 20. Die umstehenden Händler schauen ihnen nicht in die Augen. Jede Geste oder Bewegung könnte ein Missverständnis auslösen. Der Finger der Soldaten sind nicht immer, aber immer häufiger am Abzug. Vor vier oder fünf Jahren war das anders, da winkten Passanten den Konvois zu. Heute sind an den Fahrzeugen des ausländischen Militärs grosse Aufkleber angebracht mit der Aufschrift: „Achtung, Abstand halten!“ Angst haben beide Seiten: die Soldaten vor potentiellen Attentätern, die sich der Patrouille nähern könnten (weil es keine klare Beschreibung, kein wirkliches Täterbild gibt sind faktisch alle Afghane, auch Jugendliche, verdächtig). Die Afghanen fürchten sich ihrerseits vermutlich weniger vor den Gewehrläufen, die auf sie gerichtet sind, als vor der Unberechenbarkeit derer, die sie bedienen.

Was braucht es, damit diese jungen Soldaten, die kaum eine Ahnung haben davon, worauf die afghanische Kultur gebaut ist, die ‚Herzen und Köpfe’ (hearts and minds) der Bevölkerung gewinnen? Das ist, vereinfacht gesagt, Teil ihres Auftrags. Die meisten haben noch nie mit einem Afghanen auf der Strasse geredet, und sie werden es auch nicht tun, solange sie im Land sind.

Gestern abend berichtet T., ein Afghane, der für eine Hilfsorganisation in Kabul arbeitet, von einem Vorfall jüngst in der Provinz Logar, Bezirk Baraki Barak, 40 Kilometer südlich von Kabul.
“Die Menschen in unserem Dorf im sind auf die Strasse gegangen. Ihr Unmut richtete sich gegen das Vorgehen von US-Spezialeinheiten, die am Vorabend aufgetaucht waren. Sie kamen nachts, ohne Vorwarnung. Offenbar, um Verdächtige zu suchen und abzuholen. Sie drangen in eine Moschee ein. Der Mullah war noch da und ein junger Mann. Der junge Mann wurde getötet, am nächsten Morgen war Blut auf dem Fußboden der Moschee. Eine Frau und ihr Kind wurden von Kampfhunden verletzt. Die Soldaten waren in ihr Haus eingedrungen. Sie fragten nach dem Mann der Frau. Er war nicht da. Die Hunde wurden auf Frau und Kind losgelassen, bissen sie in Arm und Bein. Sie meldeten sich verletzt bei der nächsten Polizei. Unlängst hat das US-Militär hier schon einmal sechs Männer gesucht, ohne Erklärung, und mitgenommen. Die Dorfältesten sprachen das amerikanische PRT (Provincial Reconstruction Team) auf den Vorfall an. Es hiess, das PRT sei nicht zuständig. Dies hier seien andere US-Spezialeinheiten, aus Bagram, dem US-Luftstützpunkt nördlich von Kabul befehligt. In Logar sind rund 1.500 zusätzliche US-Soldaten angekommen. An Logar grenzt die Provinz Paktia im Osten und Wardak im Westen. Auf beiden Seiten gibt es zahlreiche Vorfälle. Baraki liegt mitten dring, auf dem Weg.
Vor einem bis einem halben Jahr waren Taliban hier aktiv. Sie kamen ebenfalls in der Dunkelheit, forderten Bewohner auf, nicht mit Ausländern zusammenzuarbeiten. In einem Fall haben sie ein Motorrad geklaut. Die meisten Menschen hier sind gegen die Taliban. In letzter Zeit sind es weniger geworden. Die Menschen sind wegen all dieser Vorfälle der letzten Zeit sehr beunruhigt“
Kein Einzelfall in Logar, wie mir eine deutsche Entwicklungshelferin bestätigt, die seit über einem Jahrzehnt im Land arbeitet.
Hat es etwas mit derlei Vorfällen zu tun, die sich zahlreich in afghansichen Medien wiederspiegeln, dass Ausländer weisser Hautfarbe zunächst für Amerikaner gehalten werden? Sobald ich erkläre, dass ich es nicht sei, entspannen sich die Gesichter im Allgemeinen.

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