Mittwoch, 16. Dezember 2009

Konduz, revisited












Einige werden sich wundern, dass sie länger nichts aus Afghanistan gelesen haben. Obwohl sie wissen, dass ich kürzlich in Kundus war. Grund ist die Arbeit an einem Dokumentarfilm über die Lage vor Ort. Alltag steht im Mittelpunkt. Täglich lesen wir beim Frühstück Schlagzeilen aus Afghanistans Norden. Ein Bild über das Leben in Kunduz, das tägliche Leben der Afghanen abseits fahrender Panzer hat keiner. Der Film wird von der Filmstiftung NRW gefördert. Gleichwohl ist er niedrig budgetiert. Ich freue mich konkret über Hinweise auf mögliche Förderer. Was der Film leisten kann? Das Verständnis für Denken und Erwartungen der Afghanen wecken und so unser Verständnis dafür fördern, warum wir das stehen wo wir stehen.

Es ist keine drei Wochen her, am 21. November, da explodieren erneut Tanklaster in Kunduz. Drei an der Zahl. Diesmal mitten in der Stadt, nahe dem ehemaligen Spinzer-Industriegelände. Drei Laster, randvoll mit Treibstoff. Die ganze Nacht brennt das Feuer meterhoch in den Himmel. Die afghanischen Behörden melden am nächsten Morgen Entwarnung. Ein Unfall, heisst es. Der Gaskocher der Fahrer sei mit dem Treibstoff in Berührung gekommen. Doch alle Fahrer haben angeblich überlebt. Und in der Tankwanne des einen Lasters klafft ein riesiges Loch. Kopfgross. Ein Einschuss? Die Wucht einer Sprengladung? Journalisten der Lokalpresse haben bereits Bekenner-emails der Taliban erhalten, als ein Vertreter des Gouverneurs die Presse im Morgengrauen vor den ausgebrannten Wracks mit der Version des Unfalls beschwichtigt. Wie das Loch in den Laster kommt vermag er nicht zu erklären. Es gilt, auch diesmal, auch unter Afghanen, den Anschein von Normalität zu wahren. War Flugbenzin für die NATO in den Lastern? Medienvertreter aus Kunduz behaupten ja.
Abdul Razzaq Yaqubi hält an der Version des Unfalls fest.
Der Mann in graublauer Uniform und mit Schnäuzer sitzt fast nie an seinem Schreibtisch. Vielleicht weil er die Landkarte hinter sich nicht im Rücken haben mag. Bunte Pfeile in widerstreitenden Richtungen sind dort auf die Karte gezeichnet. Pfeile deuten Bewegungen an. Militärische Mengenlehre. Taliban-Bewegungen in schwarz, Stossrichtungen von Polizei und Militär in blau. Für Details braucht man einen Dolmetscher. Aber auch ohne erkennt man etwas von der Anspannung, die Razzaq Yaqubi auf die Stirn geschrieben steht. Der General und Polizeichef von Kundus wirkt angeschlagen. Halb zugefallene Augen, langsame Sätze.
Fast geflüstert diktiert er seinem Adjudanten einen Brief, der in Wahrheit ein Offenbarungseid ist: „...brauchen wir noch weitere 300 Polizeikräfte zur Verstärkung der Sicherheitskräfte. Und eine weitere Hundertschaft zum Schutz von UN-Büros und ausländischen Einrichtungen. Andernfalls werden wir im nächsten Frühjahr mit wachsenden Sicherheitsproblemen konfrontiert.“ Drei Mal, so der Polizeichef, habe er schon ähnliche Schreiben nach Kabul geschickt, an Innen- und Verteidigungsministerium. Vergebens. Hier wird deutlich, warum die Ausbildung von Polizei in grossem Stil in Afghanistan Sinn macht. Es wird auch klar, was bisher falsch gelaufen ist.
„Wie geht es Herrn Klein?“, erkundigt sich der General nach der Debatte in Deutschland. Auch Monate danach die bekannte Version aus seinem Mund. Wer Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens habe, meint er, solle sich in Char Dara selbst umsehen. Razzaq, mit sanfter Stimme, gibt den Standhaften. Ob aus Überzeugung sei einmal dahingestellt. Er wäre nicht der erste Behördenchef in Kundus, der insgeheim andere Ansichten äußert.
Eine andere Version erzählt Yaqub, ein afghanischer Journalist. Die Menschen aus der Gegend wo der Luftangriff erfolgte seien emotional unverändert aufgewühlt, auch wenn sich das nicht in Demonstrationen äußere. Ja, ihre Meinung über die Deutschen habe sich verändert. „Es würde helfen wenn jetzt weitere Zeichen der Annäherung kämen.“ Die Zustimmung für eine Entschädigung sei ein richtiger Schritt. „Aber die Menschen sagen auch, bliebt weg! Tötet uns nicht.“
Der Journalist erinnert sich an den Luftangriff wie folgt: „Die echten Taliban-Kommandeure waren zum Zeitpunkt des Luftangriffs schon nicht mehr am Tatort“. Nur eine Anzahl wenig bedeutender Aufständischer sei zu dem Zeitpunkt noch am Fluss gewesen, der Rest Zivilisten. Eine Version, die – wenn sie zuträfe – neues Öl ins Feuer der Anklage giessen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass zwischen militärischer Erkennung und Ausführung entscheidende Zeit fatal verstreicht.
„Ein Übermass an zerstörerischer Gewalt“, sagt sein Kollege neben ihm. Taliban anzugreifen sei leichter zu rechtfertigen und erinnert sich, dass dies auch die Version der Verantwortlichen in Kundus am Tag nach dem Angriff gewesen sei. Tagelang hatten die afghanischen Medien damals auf eine offizielle Erklärung gewartet. Aber wie häufig wenn es brenzlig wird, versiegte der Informationsfluss von Seiten der Schutztruppe. Zugleich blieb der angenommene laute Aufschrei der Einheimischen aus. Wie 2006, als deutsche Soldaten afghanische Gräber schändeten. Die Afghanen blieben friedlich. Die Wellen schlugen zu Hause hoch.
Die Erschütterungen des 4. September in Kundus sind subtiler, als es die Debatte in Deutschland nahe legt, so wichtig diese für die Selbstpositionierung eines Jeden sein mag. Bibi Gul zum Beispiel ist ein Seismograph der Spätfolgen. Eine von einem guten Dutzend Polizistinnen in der Stadt. Als eine der wenigen, so betont sie, gehe sie gelegentlich noch in Uniform zur Arbeit. Vielen ihrer Kolleginnen sei das mittlerweile zu riskant. Polizeibeamte gelten als das Häufigste Angriffsziel von Anschlägen. Bibi Gul hat uns zu sich nach Hause eingeladen, in ein Viertel am Stadtrand, dass ihr selbst nicht ganz geheuer vorkommt. Aber mit ihrem Gehalt, umgerechnet etwas mehr als 200 US-Dollar im Monat, kann sie sich das Wohnen im Zentrum nicht leisten.
„Einige in der Nachbarschaft“, sagt sie zu uns, “werden jetzt Gerüchte über mich streuen, weil sie euch Fremde hier ein- und ausgehen sehen. Früher hatte ich eine Pistole im Dienst. Jetzt habe ich nicht einmal mehr eine Schrotflinte zuhause.“ Sie fürchte sich. „Was macht der Ausländer bei dir zu Hause?, werden sie fragen.“ Wenn es ihr Umfeld mitbekomme, so wird ihr erst jetzt bewußt, wisse sie nicht, was ihr geschehen werde. „Mein Sohn hat gemeint. Mutti, was ist wenn es Jemand weiter erzählt.“ Die Angst vor Landsleuten, die nicht wohlmeinend sind, einen an reale wie imaginäre Feinde verraten könnten ist spürbar. Nicht nur bei Bibi Gul. Sie hat eher zugenommen seit meinem letzten Besuch im August. Ein Aussenstehender mag sie für ein Fußnote halten, das Zeichen einer verunsicherten Provinzstadt. Die Einheimischen dagegen bezeugen, ja, es gäbe da sehr wohl einen Zusammenhang mit den Ereignissen vom 4. September. Noch ein Luftangriff von der Art, und es scheint wahrscheinlich, dass beim nächsten Besuch Bibi Gul uns nicht mehr in ihr Haus lässt.
Geschosse am Stadtrand und Schüsse in der Nacht sind weniger geworden als vor Monatsfrist, so hat es den Anschein. Dafür donnern Nato-Kampfflugzeuge über die Stadt im winterlichen Dunst. Wer ist ein Sympathisant? Und wer sympathisiert mit welcher Seite?
Innerhalb weniger Monate hat sich die menschliche Kommunikation in der Stadt verändert. Zum Leidwesen der meisten zivilen Helfer, die – qua Anordnung - nicht mehr auf den Basar dürfen. „Vergoldete Haft“ nennt einer von ihnen den Aufenthalt im Guesthouse.
Bekannte, die einen vor sechs Monaten mit offenen Armen empfingen, lassen sich jetzt teilweise verleugnen. Als wir in diesen Tagen mit der Kamera in Kundus unterwegs sind, gibt es immer wieder Verabredungen für eine gefilmtes Gespräch am nächsten Tag. Junge, scheinbar furchtlose Menschen wollen uns sprechen. Dann kommt der nächsten Tag und sie sind nicht mehr auffindbar. Auch nicht per Telefon. Wie vom Erdboden verschluckt.
Zivile Helfer und Journalisten, Diplomaten und Berater bekommen die mittelbaren Folgen einer zunehmenden Militarisierung am Ehesten zu spüren. Das deutsche Militär lebt schon seit geraumer Zeit in dieser Logik. Ein härtere Gangart? Ein Befehl zum Töten? Kenner der Bundeswehr datieren eine wesentliche Veränderung auf Frühjahr 2008 zurück. Damals habe die Bundeswehr in Kundus noch Aufständische den örtlichen Sicherheitsbehörden überstellt. Diese seien aber oft genug wenig später wieder auf freiem Fuß gewesen und hätten Deutsche und ISAF erneut bekämpft. Taliban legten sich verfeinerte Methoden im Kampf zu.
Und es wuchs der Druck der US-Amerikaner. Zur selben Zeit wie der Luftangriff, Anfang September, herrschte heftige Kritik am zögerlichen Vorgehen des deutschen Militärs in Kunduz. Wenn die es nicht selbst in die Hand nehmen, dann tun wir es eben, hiess es damals von US-Seite. Mag auch dies, so fragt sich nachträglich, Oberst Klein bewogen haben auf das Ganze zu gehen?
Drohungen der Taliban entfalten ihre eigene Wirkung. Zugleich empfinden viele Bewohner den amtierenden Gouverneur von Kunduz, Mohammed Omar, als Inbegriff von Korruption und Vetternwirtschaft. Viele die wir fragen wären ihn, Aber US- und deutsches Militär arbeiten mit Gouverneur Omar zusammen. Sorgen sie so für mehr Sicherheit oder stützen sie einen, der nach Ansicht vieler für Unsicherheit sorgt?
Nicht nur General Razzaq, der Polizeichef, wünscht sich mehr Beamte. Auch deutsche Soldaten, die für die Bundeswehr Patrouille fahren und im Kampf sind, fühlen sich überlastet. „Wir bräuchten eigentlich Ablösung, um nicht unter Dauerstress zu stehen. Aber dafür reicht das Personal nicht“, erzählt einer von ihnen. Zwar heisst es, bis zu 80 Prozent der Soldaten würden das Camp nicht verlassen, aber offenbar empfindet ein Teil der Truppe, die Belastung sei ungleich verteilt.
Es sind junge Gesichter, drei Soldaten Mitte Zwanzig, die mir gegenübersitzen, in einer Wartehalle des Flughafens von Kunduz. Sie reden nüchtern. Frei von Illusionen, die anderswo noch gepflegt werden, so scheint es. Sie bestätigen, dass unklare Einsatzregeln sie verunsichern. Dass sie sich Klarheit wünschen. Lieber heute als morgen. Umso mehr verwundert es, dass der Untersuchungsauschuss des Bundestags zu Kunduz, der sich heute konstituiert hat, sich erst in vier Wochen wieder trifft. Weihnachtspause, sagen die Parlamentarier. Zugleich ist die Bundeswehr heute erneut in einer Militäraktion über mehrere Tage.
„Das ist Kampf hier. Wiederaufbau geht im Moment nicht“, meint ein deutscher Soldat, den ich in Kunduz treffe. Im Bezirk Char Dara hätten die Deutschen eine Brücke gebaut. Quasi über Nacht sei sie wieder gesprengt worden. Er selbst habe einen Freund verloren. Auf einer Patrouillenfahrt im letzten Jahr. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich vor dem Fahrzeug seines Vordermanns in die Luft. Danach habe es ein Angebot durch einen Psychotherapeuten gegeben. Er habe das nicht gebraucht. Das Leben gehe irgendwann weiter. Er komme damit ganz gut klar.
Sein Kamerad hat das Maschinengewehr vor sich aufgestellt. „Eine echte Fehlkonstruktion“, klagt er. Sicherlich meint er es nicht so. Frust. Gefühlte Ungerechtigkeit. Afghanische Polizei und Miltär würden sich glücklich schätzen über eine Waffen seiner Qualität. Bis hoch zum Hals reicht die Panzerung der Männer. Aussen angebracht sind mehrere Taschenfächer. Ein Funkgerät. Taschenlampe. Flares, eine Art Notlicht, das sich in den Himmel schiessen lässt bei Gefahr. Eine Pistole im Kunststoffschaft. Andere haben ihre Pistole um das Bein gebunden. Über 20 Kilo wiegt das Material. „Ich spüre es schon nicht mehr“, sagt der eine von ihnen.
Rund 110 Euro pro Tag beträgt der Sold mittlerweile für viele. Ungerecht, findet ein Soldat. Während er draussen in Kundus seinen Kopf hinhalte blieben andere in Lager oder leisteten Dienst in Mazar, weiter im Nord-Westen, wo es deutlich ruhiger sei. Junge Afghanen wären froh, wenn sie soviel in der Hand hielten. In ihren Ohren klingt die Klage wie Hohn. Ihr Durchschnittsverdienst liegt bei einem Zehntel. „Das können wir nicht nachvollziehen“, sagt Hasibullah, ein junger Student, der für kleines Geld bei einer lokalen Hilfsorganisation arbeitet. Begegnungen zwischen deutschem Militär und Einheimischen sind selten geworden. „Lotfan dur boshid!“, „Halten sie Abstand !“, steht auf den gepanzerten Fahrzeugen der ISAF.
Am Flughafen von Kunduz steht noch ein Reisender ohne Uniform . Ein ziviler Helfer der staatlichen Entwicklungshilfe. Verantwortlich für den Schulaufbau in der östlichen Nachbarprovinz. Gesehen hat er seinen Arbeitsplatz in den letzten fünf Monaten nur ein paar Wochen. Seit der Wahl im August lebt er in Wartestellung in Kabul. Es gelte ein Regime besonderer Sicherheitsvorkehrungen. Eine Art permanenter Ausnahmezustand. Das zermürbe. Aus Kabul könne er nur telefonieren. Mit jedem Schuss, der fällt, das weiss auch er, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht erneut in seine Einsatzprovinz kann, dass dies ein Hemmnis ist für zivile Helfer. Wissen es auch jene zuhause ?

auch Tagesspiegel

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