Montag, 16. Februar 2009

Lincoln in Herat


Bis zuletzt war es für Frauen in Herat schwierig ein Internet-Café zu besuchen. Sie müssen mit Schmähungen und Handgreiflichkeiten junger wie älterer Männer rechnen. Das PC-Angebot hat sich in den letzten Monaten gebessert. Internet umsonst gibt es jetzt u.a. in der American Library, die heute, nach fast zehn Monaten ihre erst öffentliche Veranstaltung erlebt. (BILD) Geladen wird zum 200. Geburtstag von Abraham Lincoln. Ein halbes dutzend neue Computer stehen da, in allen Regalen Bildbände, die Amerika als Resie- und Abenteuerland zeigen. Unter den ca. 80 überwiegend afghanischen Gästen sind auch einige Schülerinnen, die von einem einjährigen Schulaustausch in den USA zurückkommen und munter in Englisch drauf los reden. Der führende amerikanischer Diplomat in Herat, ein Demokrat, wie es heisst, hält eine kurze Ansprache, die merkwürdig losgelöst erscheint zunächst. Kein Hinweis auf Obama und eine bessere Afghanistan-Strategie. Immerhin: der US-Gesandte spricht Dari (das afghanische Persisch). Unter den Diplomaten in Kabul muss man so etwas lange suchen. Er stellt Lincoln als Philosoph, Kriegspräsident und Diplomat dar, der für Sklavenbefreiung eintrat und eines gewaltsamen Todes starb. Vier bewaffnete Bodyguards sind im Raum postiert, der Sicherheitscheck am Eingang war lasch. Dann schneidet der US-Gesandte und der in den USA studierte Gouverneur von Herat, der in Anzug und mit blauem Hemd erschienen ist, eine riesige Creme-Torte an. Nach wenigen Minuten ist das quadratmeter-grosse Gebäckteil nicht mehr zu sehen. Afghanische Gäste schleppen tellergrosse Stücke auf Papptellern und in ihren Jackentaschen mit nach Hause.
In Herat halte ich bisher vergeblich Ausschau nach Militärfahrzeugen bzw. Patrouillen der ausländischen Truppen. „Die Italiener (Anm.: Italien stellt in Herat das PRT/Provincial Reconstruction Team) halten sich zurück, und sie tun gut daran“, bemerkt ein Einheimischer zynisch. Viele Herater beschweren sich über die mangelnde Effizienz und Inaktivität dieses PRTs. Ein deutscher Entwicklungshelfer den ich hier treffe, geht weiter. Er kritisiert das PRT-Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit insgesamt als Fehlgeburt. Humanitäre Hilfsorganisationen aus Deutschland seien in der Regel zu politischer Neutralität verpflichtet. Er wundere sich, warum sich dies selbst bei Generälen der Bundeswehr, die in Afghanistan Dienst tun, noch nicht herumgesprochen habe.
Mittlerweile nehmen sogar politische think tanks in Berlin langsam Abschied vom Konzept des PRTs, nachdem dieses jahrelang (warum überhaupt?) gepriesen wurde. Zahlreiche deutsche Hilfsorganisationen in Afghanistan, u.a. jene die VENRO zusammengeschlossen sind, argumentieren mit guten Gründen für eine strikte Trennung von zivilen und militärischen Aufgaben. Regierung wie Teile der Opposition wägen die deutsche Öffentlichkeit dagegen noch immer in dem Glauben es gebe hier eine einzigartige deutsche Erfolgsstory.
Nachdem die US-Regierung unter Obama gerade die Entsendung weiterer 17.000 Soldaten beschlossen hat sitze ich mit einem US-amerikanischem Entwicklungshelfer, der in Vietnam gekämpft hat: "Über 40 NATO-Staaten und andere ausländische Nationen sind hier vor Ort. Jeder hat seine eigene Strategie, viel zu wenig ist wirklich koordiniert. Das macht das Land auf Dauer kaputt." Die zusätzlichen Truppen, ist er überzeugt, machten es auch für die zivilen Helfer tatsächlich schwerer.

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