Sonntag, 30. Januar 2011

Kairo, Kabul und der Westen













Welcher westliche Staatsgast hat sich zuletzt in Afghanistan mit Politikern der Opposition getroffen ? Die Frage drängt sich auf. Von Tunesien über Ägypten bis in den Yemen liegen die Versäumnisse amerikanischer wie europäischer Politik offen zutage. Washington, Paris und auch Berlin haben über Jahre Diktatoren gestützt. Ihre Regime wurden in Hoffnung auf Hilfe im Kampf gegen den Terror mit milliardenschwerer Militärhilfe scheinlegitimiert. Stabilität hatte dabei Vorrang vor Demokratie. Der Kampf gegen den Terror versperrte zugleich den Blick auf das jeweilige Volk im Land.
Jetzt liefern die Bevölkerungen in der islamischen Welt den Beleg dafür, dass es eine Alternative zum fundamentalistischem Islam gibt. Aber der Westen verhält sich bwartend. Dabei fragt sich, wie lange das Zeitfenster der Chancen offen steht.
Kabul und Afghanistan tauchen in Kontext der Kommentarspalten zu den Ereignissen aus Kairo nicht auf bisher. Dabei liegt der Zusammenhang klar zutage. Der Westen stützt am Hindukusch seit Jahren Politiker, die Altlasten darstellen, Rädelsführer aus 30 Jahren Krieg. In der Bevölkerung sind sie nicht weniger verhasst, als das Mubarak-Regime in Ägypten. Rechtfertigen tut der Westen seine Personalpolitik in Afghanistan mit dem Argument, den Taliban die Rückkehr zu verweigern.
Längst aber haben sich die gewendeten warlords, lange hofiert vom Westen, verselbständigt. Sie sind es, die die fragilen Institutionen einer noch zarten Demokratie am Hindukusch für sich in Beschlag genommen haben und das System von innen aushöhlen. Terror und Unsicherheit, unter denen die Bevölkerung leidet, verbreiten aus Sicht der Bevölkerung beide: Aufständische wie offizielle Sicherheitskräfte, wobei warlords im Auftrag des Westens gerne große Geldsummen für ihre zweifelhaften Dienste kassieren.
Sind Proteste auf den Strassen von Kabul gegen die amtierenden Machthaber also denkbar, sind sie wahrscheinlich ? Weil Afghanistan noch nicht wie Ägypten oder Iran im Zeitalter des Inernets angekommen ist, hat es der Funken schwerer, überzuspringen. Zudem stehen ethnische Spannungen im Land einem Aufmarsch der Massen im Weg.
Der Westen wäre gut beraten, in Afghanistan einer zivilen Bürgergesellschaft auf die Beine zu helfen, ählich wie sich dies in Tunesien abzeichnet. Es wäre ein zweiter Versuch, der aus den Fehlern des ersten, gescheiterten Anlaufs lernt. Fast als ein Geschenk kommt da in diesen Tagen die Weigerung von Präsident Karsai, das neu gewählte Parlament in seiner aktuellen Form anzuerkennen. Sie ermöglicht einen noch nicht da gewesenen Schulterschluss der Geberländer mit Karsais Gegnern.
Zumal es ein offenes Geheimnis ist: das Verhältnis der US-Regierung zu Karsai ist zerrüttet. Kein westlicher Diplomat glaubt mehr daran, dass sich Korruptionsfreiheit, Demokratie und Gewaltenteilung mit Karsai durchsetzen lassen. Mißtrauen regiert allenthalben zwischen Washington und Kabul, und erschwert damit auch den Weg zu Verhandlungen mit gesprächsbereiten Taliban.
Längst schürt Präsident Karsai auf der Suche nach Legitimität fremdenfeindliche Ressentiments und religiösen Konservativismus. Wie lange kann das gut gehen ? Läßt sich dieses gefährliche Gemisch bis 2014 durchhalten, wenn Afghanistans Sicherheitskräfte weitgehend sich selbst überlassen werden sollen ? Oder lassen sich einige der Fehler der Vorjahre dicg noch korrigieren, Alternativen zu Karsai denken ?
Ganz oben auf der Agenda müsste ein modifiziertes Wahlrecht stehen, dass Parteien und einer echten politischen Opposition den Weg ebnet. Die Zahlung von Hilfsgeldern müssten an Bedingungen geknüpft werden, solange sie noch fliessen. Vor allem aber müssten Warlords in Nadlestreifen mit sanftem aber stetigem Druck in den politischen Ruhestand befördert werden, anstatt mehr Spielraum zu bekommen.
Die Menschen in Afghanistan haben oft genug Angst, zu Protesten auf die Strasse zu gehen. Die Geschichte hat sie das gelehrt. Viele der Jüngeren aber haben nichts mehr zu verlieren, ähnlich wie ihr Altersgenossen in Kairo und Tunis. Immer mehr kehren ihrem Land den Rücken, ziehen der wirtschaftlichen und politischen Misere eine gefährlche Flucht nach Europa vor. Der Westen trägt hier eine Verantwortung für Stabilität, die sich nicht allein nach getöteten Taliban bemisst.