Mittwoch, 23. September 2009

Blick in die Chrystal-Kugel











Die (Selbst)Kritik von US-General McChrystal, dem obersten US-Kommandeur in Afghanistan, in seinem 66-Seiten-Papier (download des dokuments)an die US-Regierung klingt schonungslos. Tatsächlich nimmt der Bericht viel von dem auf, worauf Experten, Hilfsorganisationen und eine Anzahl von Diplomaten bereits seit Längerem verweisen. Der Bericht ist voller Hinweise auf die komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge, die die NATO in Afghanistan vorfinde. Das ist richtig beobachtet. Es beinhaltet zugleich das Eingeständnis, dass sich die führenden Militärs lange nicht auf den Kern erfolgreicher Aufklärung konzentriert haben, dh. eine realistische Analyse der Verhältnisse, unter denen der Konflikt stattfindet. Ob die Entsendung mehrerer Hundert zusätzlicher CIA-Beamter, über die wenige Tage zuvor befunden wurde, des Rätsels Lösung sind, sei einmal dahingestellt.
Eine der wesentlichen Passagen, in denen auf die Motivation des Aufstandes Bezug genommen wird, bleibt jedenfalls merkwürdig vage. So als fehle dem Autor der letzte Erkenntnisgewinn. Der Bericht verharrt in Allgemeinheiten (zumindest in dem Teil, der der Öffentlichkiet vorliegt).

“The conflict in Afghanistan is often decribed as a war of ideas and perceptions; this is true and demands important consideration. However, perceptions are generally derived from actions and real conditions, for example by the provision or a lack of security, governance, and economic opportunity. Thus the key to changing perceptions is to change the fundamental underlying truths. To be effective, the counterinsurgent cannot risk credibility by substituting the situation they desire for reality.”

Der Leser wird der Zeilen wird das Gefühl nicht los, dass man nach acht Jahren Militärpräsenz noch tief in der Ursachenforschung steckt. Vor dem Hintergrund erscheint es folgerichtig, dass bisherige ‚Strategien’ nicht erfolgreich waren.
Das Wort ‚Strategie’ wird ein ums andere Mal strapaziert, oft zu Unrecht. Was McChrystal an seine Regierung in Washington geschickt hat ist keine neue Strategie (soweit ich sehe wird die Behauptung in dem Papier nicht erhoben) sondern vielmehr die Suche danach.

Ein paar Zitate in dem Bercht treffen sich mit meinen Beobachtungen vor Ort und deuten, man darf das hoffen, eine Umkehr in der bisherigen Politik an. Ansonsten gilt vermutlich, was afghanische Leser zuletzt anlässlich Obamas Rede in der Universität von Kairo geäußert haben: es hört sich gut an, jetzt wollen wir Taten sehen.
„Die ISAF-Schutztruppe“, heisst es in dem Bericht, „ist eine konventionelle Truppe die ungenügend zusammengesetzt ist für eine allumfassende Bekämpfung der Aufständischen, unerfahren in den afghanischen Landessprachen und mit der Kultur des Landes.“ An anderer Stelle ist von wachsender Entfremdung die Rede: „Wir haben in einer Art und Weise operiert, die uns - physisch und psychologisch - von den Menschen entfernt hat, die wir beschützen wollen."

Für einen Strategiewechsel gibt McChrystal sich 12 Monate Zeit. In dieser Zeitspanne soll unter anderem der Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte beschleunigt werden. Das bestehende Ziel - eine Erhörung des afghanischen Militärs von 92.000 auf 134.000 Soldaten bis Dezember 2011 - will die US-Regierung um ein Jahr beschleunigen. Wie dieser Crash-Kurs in Militärausbildung erreicht weren soll wird in dem Bericht im Detail nicht erläutert. Skepsis ist angebracht. Bisherige Zeitvorgaben, auch bei der Polizeiausbildung, haben sich nicht wie erhofft einhalten lassen. In Kürze kommt für vier Monate der Winter, in dem sich erfahrungsgemäß wenig bewegt.
Das westliche Militär, so McChrystal, könne sich, sofern aus den Fehlern nicht gelernt werde, nur selbst besiegen. „Sollte es nicht gelingen, innerhalb kurzer Frist die Initiative zu übernehmen und die Stoßkraft der Aufständischen abzuwenden, während gleichzeitig die Sicherheitskompetenz Afghanistans zunimmt, droht ein Zustand, in dem eine Niederschlagung des Aufstands nicht länger möglich ist".
Der Bericht kritisiert den hohen Grad an Korruption in Afghanistan auf allen Ebenen. Interessanterweise rät er auch der internationalen Gemeinschaft ihre „eigenen korrupten oder kontraproduktiven Praktiken“ anzugehen. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit, nicht zuletzt von unseren eigenen Medien zu leisten. Zugleich verspricht McChrystal eine engere militärische Kooperation zwischen NATO- und afghanischem Militär. Offiziellen Bekundungen zum Trotz besteht unverändert eine Mauer des Mißtrauens zwischen beiden Seiten.
Die neue Strategie, so heisst es weiter, werde den eigenen Truppen grössere Risiken abverlangen. Die NATO könne „nicht gewinnen wenn sie nicht bereit ist ein Risiko zu teilen, das mindestens ebenso gross ist, wie das der Bevölkerung.“ Kurzfristig, so Mc Chrystal, sei es „realistisch zu erwarten, dass die Zahl afghanischer und ISAF-Opfer zunehmen wird.“

Einen Gefahrenherd für die künftige Entwicklung sieht McChrystal in den afghanischen Gefängnissen. Dort rekrutierten Taliban und Al Qaida erfolgreich Nachwuchs. Strategisch müsse dem mit einem Programm entgegengewirkt werden, das umkehrwilligen Aufständischen Anzreize gebe, in den Alltag zurückzukehren und Arbeit zu finden.
Der Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Radikalisierung ist von Experten längst erkannt. Auch ein Programm zur Reintegration ehemaliger Taliban gibt es seit mehreren Jahren. Nennenswerte Erfolge konnte die afghanische Regierung dabei bisher nicht verzeichnen.
Grundsätzlich verweisen mehrere Punkte in McChrystals Bericht auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, die mehr zivile Helfer und Koordination erforderlich machen. Das Militär kann z.B: nicht nach Belieben in afghanischen Gefängnissen intervenieren.
Hier wie an anderen Punkten fragt sich der Leser, ob mehr Soldaten (wie von McChrystal und den für die Region hauptverantwortlichen US-Militärs gefordert) wirklich die Lösung sind, oder ob nicht vielmehr zivile Experten gebraucht werden angesichts der kulturellen Hürden, die der US-General beschreibt.
„Die Afghanen müssen ISAF Soldaten als Gäste wahrnehmen, nicht als besetzende Armee“, schreibt der US-General. Und: ISAF-Verantwortliche in Schlüsselpositionen müssten Unterricht in den Lokalsprachen erhalten. So komisch es klingt: erst acht Jahren nach dem Sturz der Taliban wächst offenbar die Erkenntnis, dass militärischer Erfolg auch zwischenmenschlicher Kommunikation mit den Einheimischen bedarf. Eine Rolle mag hierbei spielen, dass es Teilen der ISAF offenbar immer schwerer fällt Dolmetscher und Übersetzer zu rekrutieren. Zur Entlastung der Soldaten sei gesagt: Das Lernen der Landessprache ist Problem der Militärs allein. Die Masse der zivilen Hilfsorganisationen hat nach eigener Aussage hier erheblichen Nachholbedarf.
Aus all dem folgt auch: es braucht in Afghanistan eine Kultur des Respekts. Die Menschen in Afghanistan erwarten, dass ihr konkretes Anliegen nach Sicherheit und Aufabu auf allen ebenen ernster genommen wird. Das Versprechen darauf findet sich übrigens in der Definition des ISAF-Auftrages, wie er im McChrystal-Bericht formuliert ist. Im Bereich Beschäftigung z.B. denke ich ist dieser Anspruch vermutlich zu anmaßend formuliert. Das ausländische Militär wird nicht auf Dauer der grosse Arbeitgeber für die Bevölkerung sein können, und wenn, dann nur auf Kosten schon jetzt erkennbarer Sicherheitsprobleme. Die Menschen erwarten auch, das der Begriff Sicherheit nicht ausschliesslich nach westlichen Maßstäben und geo-strategischen Interessen definiert wird.

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