Freitag, 21. August 2009

Kundus Portraits: Filmdreh mit Folgen




Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
Die Beiträge sind auch im Tagesspiegel abrufbar.

Ich konnte sie bisher nicht in den Blog stellen, weil das Internet hier zu langsam arbeitet.

Filmdreh in Afghanistan
Ein 19-jähriger Schüler dreht einen Film – jetzt hat er Schulden und Feinde. Sein Stamm hat sich von ihm distanziert - doch gleichzeitig ist die Region stolz auf ihn.

Früher wurden die Träume junger Filmenthusiasten auf Zelluloid gebannt. Heute gibt es Handycams. Die Wirklichkeit wird digitalisiert, überall auf der Welt. Längst auch in Kundus, wo der Staub ohnehin ein Feind herkömmlicher Filmbänder ist. Träume haben die jungen Menschen hier viele. Von einem freieren Leben, Wohlstand und ein wenig Unterhaltung.

Gulham ist 19, geht noch zur Schule und hat sich gleich zwei Wünsche erfüllt. Er hat einen Film gedreht und spielt auch die Hauptrolle darin. Eine Liebesgeschichte, die tragisch endet und in der die Frau seiner Wünsche von Männern mit Waffengewalt von ihm getrennt wird. Dramaturgisch ist der Film ein Abklatsch von Bollywood. Die Bösen tragen Bärte, Turbane und blicken finster drein. Gulham als Held im Film trägt glitzernde Nylonhemden in grellen Farben.

300 Jugendliche und erwachsene Würdenträger kommen zur Vorführung in eine Aula am Rande der Stadt. Früh um 8.30 Uhr geht es los, steht auf der Einladungskarte. Um halb elf werden immer noch Lobreden gehalten. Lange Zeit hat sich hier kein Jugendlicher an ein so aufwendiges Unternehmen gewagt. Jetzt hat Gulham Schulden. Und er hat sich Feinde gemacht mit dem Film. Auch und gerade in der eigenen Familie. „Je mehr ich gedreht habe in den vergangenen vierzehn Monaten, desto mehr haben sich mein Dorf und mein Stamm gegen mich gestellt“, erzählt er. Sie mieden ihn, er könne nicht mehr zu ihnen aufs Land fahren.

Warum? „Film und Schauspielkunst gelten ihnen als unrein, als etwas, das die Ehre der Familie beschmutzt.“ Nur sein Vater, der den größten Teil des Geldes zugeschossen hat, stehe zu ihm. Die Filmvorführung wird überlagert vom Röhren der Ventilatoren. In der Aula ist es stickig und heiß. Der Vertreter des Ministeriums für Kultur und Information, der sich an diesem Morgen die Ehre gibt, lässt es an Ambivalenz nicht missen. „Es ist gut, wenn junge Menschen aus Afghanistan Filme für die Menschen in Kundus machen. Wir importieren ja sonst nur Filme aus dem Ausland. Viele davon können Vater und Tochter nicht einmal gemeinsam zu Hause ansehen. Immer wieder sind es Geschichten, in denen ein Mann und eine Frau sich verlieben und am besten küssen sollen. Aber sieht so wirklich ein Film aus“, fragt er.

Der Konflikt liegt förmlich in der schwülen Luft der Aula von Kundus, ist mit Händen zu greifen. Aber er verhallt. Keiner würde eine solche Frage hier ernsthaft öffentlich diskutieren. Stattdessen sind alle stolz. Als Gastgeber in Kundus haben sie den Gästen aus Kabul bewiesen, dass auch in der Provinz Filme entstehen. Und das unter schwierigen Sicherheitsbedingungen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 07.08.2009)

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