Dienstag, 14. Juli 2009

Daikundi: vergessene Provinz im Griff der warlords



(siehe zum Thema auch folgenden Artikel im Tagesspiegel)

Zwei Dutzend Männer rammen eiserne Spitzhacken mit voller Kraft in den Berg aus Lehm, der sich vor ihnen auftürmt. In der sengenden Sonne, die schon früh morgens gnadenlos scheint, rinnt ihnen der Schweiss über Gesicht und Kleider. Mit jedem der Schläge trotzdem sie dem Berg ein paar Zentimeter ab. Nicht ohne Gefahr. Gelegentlich lösen sich lawinenartige Schollen vom Hang, die die Arbeiter unter sich begraben können.
Die Schotterpiste ist in Wirklichkeit eine Hauptstrasse. Ein Wagen und ein Esel haben hier nebeneinander Platz. Autos verirren sich nur gelegentlich hierher. Daikundi, erst seit 2004 eine eigene Provinz auf der Landkarte Afghanistans, liegt jenseits der ohnehin schwer zugänglichen afghanischen Wirklichkeit. Zwei Tage beschwerlicher Anfahrt von Kabul braucht es mit dem Allrad-Antrieb bis hinauf in abgeschiedene Täler, die auf keiner Karte verzeichnet sind.
Entlang des Schotterwegs begegnen einem biblische Bilder. Eine Frau auf dem Rücken eines Esels. In den Armen ein Neugeborenes, gewickelt in ein Tuch. Ein Mädchen als Schafhirte, das Dutzende Tiere wie an einer Perlenkette vor sich hertreibt. Die verhärteten Augen von Kindern, die nie eine Kindheit gesehen haben. Mit bräunlich gefleckter Haut, Zeichen für chronische Unterernährung.
„80 Prozent der Menschen in Daikundi haben keine Zeit sich um die Wahlen zu kümmern“, hat mir Ali Amiri in Kabul mit auf den Weg gegeben. Amiri ist selbst im zentralen Hochland von Afghanistan gross geworden. „Die Menschen sind täglich mit dem Überleben beschäftigt, es gibt keine Zeit sich mit etwas Anderem abzugeben“. Ali Amiri hat, wie viele in Daikundi, aus der Not eine Tugend gemacht. Seine Familie ist in den Iran imigriert. Dort hat er promoviert, über Wittgenstein. Jetzt lehrt er in Kabul an einer Privatuniversität.
Je näher die Wahlen rücken, desto unruhiger würden manche Menschen, redet er zunächst in Rätseln. „Ich meine die warlords, von denen bis heute viele in Daikundi ihr Unwesen treiben. Aus Kabul dirigieren sie Anhänger und Stellvertreter im entfernten Hochland. Stimmenkauf gehört dazu“.


Dabei zeigt die Natur in Daikundi in diesen Tagen ihr freundliches Gesicht. Nur im Sommer wächst auf den kargen Böden des Hazarajat überhaupt etwas. Auf den Gipfeln schmilzt der Schnee. Das Wasser wird für kurze Zeit zur Lebensader für Mensch und Tier. Wenig mehr als fünf Monate gross ist das Zeitfenster, in dem die Bauern ihr Überleben sichern müssen, bevor die Kälte jedes Tal wieder von der Aussenwelt abtrennt.
Aussaat, ernten, Vorrat anlegen. So geht es seit alters her. Kein Regime, kein Krieg, kein Wiederaufbauprogramm kann daran etwas ändern. Die Naturgewalten bestimmen in Daikundi den Takt des Lebens. Überall vor den Lehmhäusern türmt sich getrockneter Kuhmist als Brennstoff und Dünger, von Kindern in Spülhandschuhen tellergross geformt.
Lange hat es dieses Jahr gebraucht, bis der Schnee den Boden aus seinem Griff freigegeben hat. Während weite Teile Afghanistans nach viel Regen Rekordernten entgegensehen, blieben die Bauern in Dakundi zur Untätigkeit verdammt. Die Speicher drohen leer zu bleiben. Viele Bewohner sind längst in den Iran emigriert.
Der Bautrupp aus Bauern, junge wie ältere mit weissen Bärten und Turban, arbeitet für Essbares. „Food for work“ nennt sich der einfachste Handel der Entwicklungshilfe. Für ihr Tageswerk bekommen die Männer Rationen aus Getreide, Bohnen und Speiseöl. Caritas treibt so einen Strassenbau voran, der ein gottvergessenes Tal im Bezirk Bandar mit der Provinzhauptstadt Nili verbinden soll. Nach vorhandenen Plänen sollen rund 11.000 Menschen von der Trasse profitieren. Solche Schätzungen sind wie immer mit reichlich Optimismus versehen.
Die Bewohner von Daikundi nennen ihr Gebiet die „vergessene Provinz“. In fernen Kabul sonnen sich die Akteure in den neuen politischen Institutionen. Berichte internationaler Hilfsorganisationen lesen sich wie ein verklausuliertes Schuldeingeständnis unterlassener Hilfeleistung an die Region im zentralen Hochland.
In Daikundi wird nicht gekämpft. Es gibt kein Militär. Keinen einzigen afghanischen Soldaten. Auch keine US- oder NATO-Truppen. Statt weniger fremden Einfluss wünschen die Menschen sich hier mehr ausländische Präsenz. Ein militärisches Aufbauteam steht auf der Wunschliste der Provinzregierung. Ob und wann es kommt scheint fraglich.
Daikundi, die friedliche Provinz, teilt eine gemeinsame Grenze mit Helmand, dem am stärksten umkämpften Teil des Landes. Einige Taliban weichen mittlerweile in den Süden von Daikundi aus, um dort Schutz zu suchen vor Amerikanern und Briten. Der Süden von Daikundi ist für internationale Helfer no-go-area. Eine Ausweitung des Konflikts auf die ganze Provinz scheint allerdings wenig wahrscheinlich. Die Trennung zwischen ethnischen Paschtunen und schiitischen Hazara, wirkt als natürliche Grenze.
Ein unsichtbares Band verbindet Daikundi mit Kabul. Einflussreiche warlords und Milizenführer der Hazara sitzen längst als gewendete Politiker in Regierung, Parlament und Behörden. Ihre Dienste haben sie erfolgreich dem neuen Umfeld angepasst. Von Kabul aus machen sie ihren Einfluss bis in das letzte Tal von Daikundi geltend.
Sehr zum Unmut recht schaffender Menschen wie Reza Rezai. Der Polizeichef im Distrikt Bandar muss mit kaum 30 Beamten auskommen in einem Gebeit so gross wie ein mittelgrosses Bundesland. Hilfe aus Kabul hat er abgeschrieben. In der Haupstadt, so Rezai, betrieben ein paar Parlamentarier seine Entlassung. Es fällt der Name Shirin Mohseni. Die Abgeordnete, von der er spricht, gehört wie er zur Gruppe der Hazara. Ansonsten verbindet die beiden eine Feindschaft. Shirin Mohseni gilt als politische Strohpuppe ihres Mannes, Arif Dawari. Der ist ein warlord aus Daikundi mit Einfluss bis hoch in die Regierung.
Dreissig Morde, Vergewaltigung, Zwangsheiraten, private Gefägnisse und Drogenhandel werden Dawari von mehreren Menschenrechtsinitiativen zur Last gelegt. Eine Gruppe sogenannter ‚Opfer von Daikundi’ hat eine Liste seiner Greueltaten zusammengestellt.
Bis vor Kurzem war Reza Rezai Polizei-Chef in Dawaris Heimatdistrikt. Der drängte ihn, inhaftierte Gefolgsleute vorzeitig freizulassen. Weil sich Rezai weigerte schob man ihn auf einen anderen Posten ab. Dawaris hat drei Frauen. Shirin Mohseni, die Abgeordnete in Kabul, ist eine davon. Zwangsverheiratet. Einen ordentlichen Schulabschluss hat sie nicht. Als unser Gespräch auf das Thema warlords zu sprechen kommt, bricht sie ab. Es wird ihr alles zu viel.
Dawari ist den Pakt mit dem Teufel eingegangen. Als die Taliban 1998 das zentrale Hochland eroberten und zahlreiche Massaker unter den Hazara anrichteten, suchten sie Handlanger beim Feind. Dawari war zur Stelle. Jüngst liess er sich in den Sicherheitsrat seines Heimatdistrikts wählen.
Reza Rezai, der Polizei-Chef, ringt um Antworten. Wenige Wochen vor der Präsidentenwahl, bei der zugleich neue Provinzräte gewählt werden, kann er verstehen, dass viele seiner Landsleute ängstlich und skeptisch auf den Urnengang schauen.
„Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren herrschte Hoffnung, dass Demokratie auch Gerechtigkeit bedeuten würde und Schuldige zur Verantwortung gezogen würden“, erklärt der Leiter einer afghanischen Hilfsorganisation. Stattdessen blühe unter der Regierung Karsai die Korruption.
Karsais Poster sind die ersten Wahlplakate, die im Basar von Bandar hängen. Ein paar Kinder kleben sie an Türen und Wände. Der Mann, der sie früh morgens in der Stadt verteilt habe, sei längst wieder verschwunden, so die Jungen. Sie wundern sich, dass er keine Poster anderer Kandidaten dabei hatte. Ein Zufall?
Für Fatima, die noch zur Schule geht, wären fünf weitere Jahre unter Karsai gleichbedeutend mit Stillstand. Die 19-jährige spricht ein wenig Englisch und besticht durch ihr Selbstbewusstsein. „Tun Sie etwas, damit endlich mehr Bildungsangebote nach Daikundi kommen“, redet sie mit ernster Mine auf den Journalisten ein.
Dann muss sie zur Schule. Eine Prüfung ablegen. Ahmad, ein Mitarbeiter der Caritas,
lobt ihren Mut und ihre Initiative. Er sieht in ihr eine kommende Führungskraft. Aber wer gibt Fatima eine Chance? Die neuen Kräfte der zarten Pflanze Zivilgesellschaft werden bisher von oben kaum gefördert. Es zählt die Reputation der Altgestrigen, auch wenn diese Schmutz oder Blut an den Händen haben.
Auch für Caritas birgt dies Konfliktstoff. Vor zwei Jahren hat die Hilfsorganisation eine kleine Klinik im Bezirk gebaut. Kranke und Schwangere mussten endlich nicht mehr Dreitagestouren auf dem Esel oder mit dem Motorrad zurücklegen. Mittlerweile hat der Ruf der Klinik stark gelitten. Der Medikamenten-Schrank ist oft leer. Es fehlt an Krankenpflegern und Hebammen. Der Chefarzt bekommt seit Monaten kein Gehalt und hat seine Kündigung eingereicht.
Die Klinik ging nach dem Bau in Verantwortung einer örtlichen Hilfsorganisation über, die als korrupt gilt und Verbindungen zur Regierung in Kabul unterhält. Die Menschen in Daikundi trauen den neuen Verhältnissen nicht über den Weg. Nur bessere Kontrolle durch die internationalen Organisationen könne den Morast aus Korruption in Daikundi trocken legen, ist ein afghanischer Verantwortlicher überzeugt. Die Klinik von Sang-e-Takht hat die EU finanziert. Aber dort regt sich kein Finger.
Eingreifen oder zuschauen? „Kurzfristige Nothilfe, zumal losgelöst von afghanischen Strukturen, endet oft in einer Sackgasse“, sagt Marianne Huber von Leiterin des Caritas-Büro in Kabul. Es brauche längerfristige Pläne statt immer wieder punktuelle Aktionen, die oft wenig koordiniert erschienen.
Viel ist von Asymmetrien die Rede dieser Tage. Zwischen hochgerüstetem Nato-Militär und Taliban-Kämpfern, die sich unter die Bevölkerung mischen. Die Asymmetrie, die in Daikundi herrscht, ist eine zwischen Mächtigen mit der Waffe und Ohnmächtigen. Zwischen wehrlosen Polizeichefs, die gejagt werden statt selber die Initiative zu haben. Zwischen amnestierten warlords, die von der internationalen Gemeinschaft seit sieben Jahren gestützt werden, und Opfern, die ihre Frustration eines ums andere Mal schlucken. Asymmetrie auch in der Entwicklungshilfe, die das richtige Verhältnis zwischen Nothilfe und der Förderung demokratischer Strukturen sucht.

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