Donnerstag, 16. April 2009
Woman power? Ein Ehegesetz
Die Demonstration zum umstrittenen Ehegesetz ist auch heute das Tagesthema in Kabul. Frauen, die für und gegen das Gesetz ihre Fäuste in die Luft strecken und lautstark Slogans skandieren, hier für Frauenrechte, dort für Allah, hier in Jeans, dort mit weiten Roben, die die Körperkonturen verschwinden lassen. Frauen gegen Frauen auf der Strasse, getrennt durch ein cordon an Sicherheitsbeamten. Das Bild in den Abendnachrichten. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten Jahren eine derartige Protestveranstaltung in Kabul gegeben hat. Ein kleines positives Zeichen für ein aufkeimende Zivilgesellschaft. Mag sein, dass die Bilder im Fernsehen einige Frauen ermutigen.
Sicher, es sind auch Männer da. Bestellte Demonstranten, die später gewalttätig sind und nach der Festnahme durch die Polizei aussagen werden, sie seien von Ayatollah Mosheni, einem der Anstifter des umstrittenen Ehegesetzes, dazu veranlasst worden.
Noch immer ist nicht eindeutig klar, ob es bei den Schiessereien gestern auch ein Opfer gab.
Aufgerufen zur Demonstration hatte unter anderem die afghanische Menschenrechtskommission. An der Spitze des kleinen Protestzugs auch einige ausländische Frauen. (Bilder Zainab Mohaqeq) Ein wichtiges Zeichen der Solidarität, einerseits. Ein leicht gefundenes Fressen für die Befürworter des Gesetzes, andererseits. Ayatollah Mosheni und seine Anhänger verstehen es, den Einfluss internationaler Akteure als Keule des Anti-Islam zu instrumentalisieren.
Der schiitische Geistliche, der lange in Mashhad im Iran im Exil gelebt hat, hat mit seinen und Geldern aus dem Iran das riesige Khatam Al Nabi’in-Seminar im Zentrum von Kabul erbauen lassen, eine Lehranstalt für islamisches Recht. Hier entstand auch das umstrittene Werk, das über 125 Seiten haben soll.
Ayatollah Mosheni leitet die Ulama der Schiiten, den Rat der konservativen Geistlichen. Und hier fangen auch schon die Missverständnisse an. Die Debatte, wie sich sich in deutschen Medien spiegelt, kommt selbstgerecht daher, wenig informiert.
Vergangene Woche hat Mosheni das Gesetz nochmal verteidigt, erklärt es werde kein Zurück geben. In Berichten wird er als ‚Führer der Schiiten’ beschrieben. Sind Aafghanistans Schiiten deshalb bereit ihm zu folgen? „Das Gegenteil ist richtig“, sagt Ali Karimi, ein afghanischer Intellektueller, „viele Schiiten hassen Mosheni. Er ist ein ehemaliger Mujahed-Kämpfer aus der Zeit des Bürgerkriegs. Er kämpft für einen politischen Islam iranischer Prägung und er ist ein Paschtune, keine Hazara, wie die meisten Schiiten. Er kommt aus Kandahar, wie Hamid Karsai, und er ihm werden gute Beziehungen zu konservativ-radikalen sunnitischen wie Sayyaf nachgesagt.“ Die Masse der Hazaras, die in Fragen der Moral eher offen seien, würden ihn ablehnen.
Mosheni ist auch nicht der Führer der einzigen schiitischen Ulama in Afghanistan. Unter den Hazaras gibt es eine Anzahl weiterer, gemäßigter Räte von Geistlichen und Intellektuellen.
Das alles fällt bei der Bewertung in der Auslandspresse unter den Tisch. Sollte es aber nicht.
Der Westen macht es sich leicht: eine kleine Gruppe radikaler Geistlicher wird mit einem Land gleichgesetzt. Wieder sind wir beim Bild des ewig-rückständigen Afghanistan, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Dabei wird auch die Gruppe der Hazara, die rund 12 % der afghanischen Bevölkerung ausmacht und als vergleichsweise offen in gesellschaftlichen Fragen gilt, pauschal mit diffamiert. So kommt man Afghanistan nicht näher. Auch war die Stimmung bei der gestrigen Demo zivilisierter als es einige Artikel in der internationalen Presse vermuten lassen.
Unklar ist, ob und inwiefern die Übersetzungen des Gesetzes, die auf Englisch kursieren, interessengeleitet sind. Die Gefahr liegt angesichts der internationalen Presse-Echos und den Zielen, die internationale Akteure und diplomatische Vertretungen verfolgen, auf der Hand.
‚Zadan’, das persische Wort für schlagen, kann zum Beispiel sowohl einen freundlich gemeinten Klapps bedeuten oder auch die Anwendung grober Gewalt. Die Übersetzungen, die bis gestern auf Englisch kursierten sind zum Teil unverständlich und verwirrend. Selbst unter afghanischen Journalisten herrscht keine Klarheit über manche arabische Begriffe des Gesetzestextes.
Wie und warum Präsident Karsai das Werk unterschreiben konnte, darüber wird in Kabul unter In- und Ausländern noch immer angestrengt gerätselt. Pluspunkte für den beginnenden Wahlkampf verschafft es ihm vermutlich nicht, auch wenn diese Spekulationen in der Presse immer wieder genannt weden.
Zum nuancierten Blick auf das umstrittene Regelwerk gehört auch die Rolle des Iran.
Ayatollah Mosheni wird wie gesagt von dort unterstützt. Nicht auszuschliessen, dass Iran Öl ins Feuer giessen und Afghanistan latent instabil halten will. Es wäre nicht das erste Mal in den vergangenen Monaten.
Ich hatte gestern Gelegenheit Gast bei einem der bekannten und quotenstärksten afghanischen Radio-Sender zu sein, wo das Thema in der Redaktions-Konferenz heiss diskutiert wurde. Auch ein schiitischer Mullah gehört zu den Redakteuren. Er behandle seine Frau so wie man das normalerweise von einem rechtschaffenden Mann erwarte, sagt er angesprochen auf Sex in der Ehe. Vermutlich ist es bei den meisten (schiitischen) Paaren in Afghanistan so. Aber das Extrem veranlasst uns, eine ohnehin komplexe Gesellschaft vom anderen Ende aus zu denken, zu be- und verurteilen.
Eine Frau in der Redaktions-Konferenz weist darauf hin, der Text enthalte eine Stelle in der es heisst, Frauen könnten vor der Eheschliessung Bedingungen an den künftigen Ehemann stellen. Etwa die Bedingung, nicht zum Sex gezwungen zu werden? Damit wäre das Gesetz faktisch ausgehebelt.
Ich mache mir freilich keine Illusionen: dies ist die Stadt, Kabul, und die Demonstration gestern ist Ausdruck urbaner Verhältnisse und findet statt im Licht einer starken internationalen Präsenz, die es so an keinem anderen Fleck in Afghanistan gibt. Auf dem Land, wo Männer, Mullahs und die Tradition das Sagen haben, ist kaum denkbar, dass Frauen von heute auf morgen eine Umkehr der Verhältnisse einklagen, leben können. Auch alle Gender-Programme können daran wenig ändern.
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