Mittwoch, 15. April 2009
Herat, last minute
I.
Seit zwei Wochen viel Regen in Herat, Mazar, Kabul und weiten Teilen Afghanistans. Deutsches Wetter statt der gewohnten Sonne. Ein Segen für die Landwirtschaft, es verspricht eine gute Ernte zu werden. Nachteil: reihenweise kollabieren Lehmbauten. Der Lehm weicht unweigerlich auf.
6 Tote durch ein einstürzendes Lehmdach gestern in einem Vorort von Herat.
II.
Ich bin zu Gast auf einem Workshop junger Afghanen, Männer wie Frauen, im Alter von 20-30. Young Leaders Forum heisst die Gruppe. Ein Debattierzirkel den das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afghanistan seit 2003 initiiert. Wir reden über kulturelle Missverständnisse, die auch nach sieben Jahren nicht weniger werden. “Unser Hauptproblem im Umgang mit Ausländern“, sagt einer von ihnen, „ist, dass alle von Draussen unsere Kultur nicht anerkennen und meinen, sie wären bessere Menschen.“ Zaki wird in Kürze zum ersten Mal zu einer Fortbildung nach Deutschland reisen: „Ich werde an der Uni und in Bibliotheken ein paar Monate recherchieren. Aber vorher will ich recherchieren, wie die Menschen in Deutschland sind, wie man dort geht und arbeitet („how they walk and how they work“). Mein Rat an die jungen Afghanen im Gespräch: selbstbewusster auftreten gegenüber den Geberländern und ihren Organisationen. Nicht Angst haben vor konstruktiver Kritik. Tatsächlich ist die Unterwürfigkeit der meisten afghanischen Angestellten in Büros internationaler Hilfsorganisationen erschreckend. Verständlich. Der weitaus kleinere Teil der täglichen Arbeitsbeziehungen ist gekennzeichnet von einem ausgewogenen Verhältnis, das nicht von ‚wir-da-oben-und-ihr-da-unten“ bestimmt ist.
III.
Petrus begegnete mir zum ersten Mal vor zwei Monaten. Was für ein Name in diesen Breitengraden. Er sagte er suche Arbeit bei einer Hilfsorganisation, sei relativ neu vor Ort.
Woche um Woche wurde das Bild über ihn klarer. Neu ist er nicht wirklich und Arbeit hatte er bereits in Herat. Auch in der einheimischen Sprache kennt er sich relativ gut aus. Man erstes Gefühl bestätigt sich: er ist hier, um zu missionieren. Ein absolutes Tabu-Thema der internationalen Medien mit Blick auf Afghanistan. (Zeit auch hierüber einmal zu berichten)
Hilfsorganisationen ist Missionieren offiziell untersagt, aber in Herat wie in Kabul passiert es am laufenden Band. Das Führungspersonal ganzer internationaler Einrichtungen ist darauf eingestellt. Zum Beispiel an der amerikanischen Schule von Kabul.
Petrus gibt Management-Kurse über persönliche Integrität und Aufrichtigkeit. Unter Ausländern aber traut er sich nicht, die Wahrheit zu sagen. Er lädt Afghanen zu sich nach Hause ein. Zeigt ihnen Filme in denen Jesus Christus und Gott gepriesen werden. Er fährt nach Dubai und schickt von dort Internet-Links über die Bibel und ihre Botschaft. Er kommt zurück aus Dubai mit der Bibel im Gepäck und will sie afghanischen Bekannten vermachen. Einige lehnen ab, andere zögern, wieder andere lassen sich ‚überzeugen’.
IV.
Kahlschlag: eines der zwei grossen US-Programme für urbane und ländliche Entwicklung schliesst seine Büros im gesamten Norden und Westen Afghanistans. Vorankündigung: 4 Wochen. Hunderte von Angestellten stehen auf der Strasse, die meisten haben eine 8-12-köpfige Familie ernähren.
Ähnlich wie bei der deutschen Entwicklungshilfe scheinen die USA ihre Hilfe jetzt vor allem auf jene Regionen zu konzentrieren, in denen sie am Stärksten engagiert sind bzw. die umkämpft sind. Bei den Amerikanern sind das der Süden und Südosten.
Shoanne ist frustriert über ihre eigene Regierung. „Die Mitarbeiter, die in Kabul die Dinge planen, sitzen hinter dicken Schreibtischen. Ich muss vier Abwehrringe aus Betonmauern und Stacheldraht überwinden, um zu ihnen vorzudringen. Wie kann ich erwarten, dass sie einen realistischen Eindruck der afghanischen Verhältnisse haben.“
Sie spricht von gekauften Schafen und geschorener Wolle, die jetzt ohne Webstühle bleiben. Von eingerichteten Büros, deren Ausrüstung jetzt verscherbelt wird. Von Strategien, die ohne Hand und Fuss.
V.
Viele loben die neue US-Strategie für Afghanistan. Sie enthält mehr militärische Anstregungen, Programme zur Demokratisierung des Landes werden zurückgefahren, hatten die neue Obama-Administration schon vor monatsfrist angeküdigt. Verleugnet der Westen damit die Ziele, die er sich sechs Jahre lang selbst gesetzt hat? Oder ist es Einsicht in die begrenzten Möglichkeiten, ein Land jenseits unseres Horizontes zu demokratisieren? Die Inkonsequenz und der falsche Ansatz der vergangenen Jahre sind unübersehbar.
“Ich möchte, dass Demokratie und Zivilgesellschaft hier eine Chance bekommen“, sagt Yama, 26, der aussieht wie 36, ernst, gebildet, und der gerade eine neue Organisation gegründet hat. „Wir vertreten säkulare Werte. Wir erwarten auch, dass der Westen junge Leute wie uns unterstützt und nicht fundamentalistische Gruppen und Interessenvertreter. Schauen sie z.B. General Jurat, ein ehemaliger warlord in Diensten der Nordallianz. Es heisst er habe 5.000 Milizionäre, die als Sicherheitskräfte in Herat hier und in Kabul für ausländische Organisationen arbeiten stellen die Sicherheit für Teile der afghanischen Behörden, der ISAF sowie für Hilfsorganisationen. Derselbe General Jurat tritt Recht und Gesetz mit Füssen. Unlängst hat er den Generalstaatsanwalt auf offener Strasse geschlagen und bedroht. Zu diesen Leuten geht das Geld der internationalen Gemeinschaft! Das muss geändert werden.“
VI.
Im Flugzeug nach Kabul. Mumtaza stammt aus Usbekistan. Sie fällt äußerlich von Teint und Kleidung nicht auf unter den Afghanen. Ihre Stimme aber verändert die Situation gewaltig. Frauen die laut und bestimmt sind ziehen mächtig Aufmerksamkeit auf sich, interessierte wie mißtrauische Blicke, nicht wirklich geneigte, anfangs. Mumtaza leitet ein Programm der Asia-Foudation für Frauenrechte.
Zuhause in Uzbekistan hat sie sich ebenfalls für die Bildung zivil-gesellschaftlicher Strukturen eingesetzt. Seit wenigen Monaten sei sie jetzt in Afghanistan. „Ich fühle mich so viel besser hier“, sagt sie, „das Land ist so frei in vieler Hinsicht im Vergleich zu meiner Heimat.“
Im selben Flugzeug sitzt Deeva, eine junge Iranerin. Sie arbeitet für eine internationale Hilfsorganisation in Herat. Trägt Jeans, ein modernes Top. „Tehran hat viele Möglichkeiten, aber nicht wirklich gewisse Möglichkeiten, die es hier gibt“.
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