Freitag, 3. April 2009

Hearts and Minds: Kino und Politik





Heute wurde mein Kurzfilm ‚Hearts and Minds’ im Kino von Herat gezeigt. Das Wort Kino müsste eigentlich in Anführungszeichen stehen. Es handelt sich um eine ehemalige Sporthalle, die vergangenes Jahr bestuhlt und als Ort für Filmvorführungen wiedereröffnet wurde. Die Freude war von kurzer Dauer. Nicht einmal 24 Stunden nachdem ein älterer Hollywood-Film und ein Dutzend Kurzfilme einheimischer Regisseure liefen, meldete sich die ‚Ulama’, der Herater Rat der sogenannten Geistlichen zu Wort (dahinter verbergen sich in Wirklichkeit viele ehemalige Mujahedin, längjährige Anführer im Befreiungskrieg gegen die Sowjetunion sowie aus der Zeit des Bürgerkriegs) und erklärte die Nutzung der Halle als Kino für unerwünscht. Eine kleine Schar unabhängiger Filmemacher blieb immerhin hartnäckig und kann auf Unterstützung durch Uni-Dozenten und diverse Honoratioren in der Stadt rechnen. Seit einigen Monaten, erzählt mir einer der ‚Kino’-Initiatoren, laufe der Betrieb wieder, mehr oder weniger im Wochentakt. Prime time ist um 14 Uhr an jedem Freitag, dem hiesigen Wochenende. Gezeigt werden meist ältere iranische Filme (kein Bollywood-Kino, anders als in Kabul). Von Filmplakaten oder einem Ambiente, das wir mit Lichtspielen assoziieren allerdings keine Spur.
„Hearts and Minds“, meine Collage über Krieg und Alltag in Afghanistan, hatte hier eine unerwartete Premiere im kleinen Kreis. Das Ganze war kurzfristig angesetzt für eine Spätvorstellung um 18 h. Fünfzehn Herater Filmemacher und zwei Polizisten verloren sich im Auditorium. Die Ungewissheit über mögliche negative Reaktionen schwang möglicherweise mit. Dabei nimmt mein Film eher die afghanische Kritik an der fehlenden Afghanistan-Strategie des Auslands auf. „Ein eher europäischer Blick“ findet einer der Zuschauer gleichwohl. Wir diskutieren eine zeitlang in der dunkeln Halle bevor wir das Gespräch nach Draussen verlagern.
Es laufen noch zwei afghanische Kurzfilme. Einer davon über Zwangsheirat. Darin kommt ein älterer Mann vor, neben dem ein Mädchen sitzt, noch Kind, bedeckt mit einem bunten Kopftuch, das nicht wagt aufzuschauen. In der nächsten Sequenz sieht man, wie das Mädchen einen Kanister Benzin auftut und sich damit begiesst, dann anzündet. Der zweite Film handelt von häuslicher Gewalt. Am Ende ertönt eine Stimme aus dem ‚Off’, die das Schicksal afghanischer Frauen demonstrativ hervorhebt. Auftraggeber dieser Produktionen sind die afghanische Menschenrechtskommission sowie in Herat tätige Hilfsorganisationen. Diese Art von Filmen sind widersprüchlich und kompliziert. Den afghanischen Regisseuren werden Vorgaben inhaltliche Vorgaben gemacht nach Maßgabe der Prioritäten, die die internationalen Akteure glauen ausgemacht zu haben. Dramaturgie, Skript und Text sind teilweise vorgegeben und kommen nicht von den Regisseuren. So sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Aufklärungsfilmen und Kurzfilmen zur politischen Bildung entstanden, die derart politically correct sind, dass einige der Hilfsorganisationen den Fehler selbst erkannt haben und nach Auswegen suchen.
Die Anzahl der der Autoren, die nach westlichen Standards einen Film entwickeln ist allerdings sehr begrenzt. Die Sadat-Schwestern aus Herat sind eine Ausnahme. Beide sind Autodidaktinnen, deren Filme mittlerweile auch auf internationalen Festivals laufen. Für afghanische Regisseure zählt in erster Linie, dass es überhaupt Arbeit gibt, Kamera und Schauspieler zum Zuge kommen und es etwas Geld gibt.
Es mischen sich Fragen und Zuversicht während ich im Dunkeln vor der Leinwand sitze, einem grossen weissen Stofftuch. Ist ‚Kino’ in Herat ein Alibi für die Konservativen, oder steht das halbe Dutzend weiblicher Filmemacher, mit denen ich mich in den letzten Tagen getroffen habe für einen Aufbruch zu unbekannten Ufern?
“Die Zahl der Filmproduktionen zeigt nach unten. Statt 25 Büros vor ein paar Jahren gibt es jetzt nicht mehr als ein Dutzend. Viele haben die Hoffnung verloren“, meint Wahid Qatali über seine Kollegen. Er war eine treibende Kraft letztes Jahr bei der Wiedereröffnung des ‚Kinos’, studiert Kunst an der Universität von Herat, wo es immer noch keinen Dozenten für Film gibt, wie er beklagt.
Wahid Qatali verkörpert das ambivalente Verhältnis zwischen Kino und Politik in Herat. Sein Vater ist ein ehemaliger Mujahed, der an der Seite Ismael Khans gegen die Russen gekämpft und sich seine Pfründe als Folge des ‚gottgegebenen Sieges’ danach für Lebzeiten gesichert hat. Wahid, jetzt 25, hat lange gezögert, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, eines unscheinbaren Geschäftsmanns, der mittlerweile Verträge in Millionenhöhe mit US-amerikanischen Bau- und Beraterfirmen abschliesst. Die Einnahmen daraus sichern der Familie eine gehörige Gefolgschaft inklusive einer Sicherheitsfirma mit bodyguards, deren Vertreter ständig mit im Wagen sitzen oder einem die Türen öffnen.
Es sind offenbar Wahids vorerst letzten Tage als Filmemacher. „Ich werde in die Politik gehen, mich um den Vorsitz des hiesigen Landrats bewerben“, meint der 25-jährige und fragt mich gleich, ob ich das für eine gute Idee halte.
Wahid und seine Familie haben gute Beziehungen zu Ismael Khan, betont er. Isamael Khan, ehemaliger Gouverneur von Herat und viele Jahre unumschränkter Herrscher im Westen Afghanistans weit über die Grenzen der Provinz Herat hinaus, sitzt als Minister für Energie im Karsai-Kabinett in Kabul und hält immer noch viele Fäden in Herat in der Hand. Jüngst hat er seine Tochter, 25, eine Novizin in der Politik, zur Leiterin des Frauenministeriums bestellt, als mögliches Sprungbrett für einen Sitz im Parlament.
Ismael Khan selbst, so Wahid, überlege, ob er auf dem Ticket von Karsai als Vize-Präsident bei den Wahlen im August kandidieren solle. Ich bin überrascht. Es ist bekannt, dass Khan nicht viel von den Leuten hält, mit denen er in Kabul am Kabinettstisch sitzt. Es heisst er sei einer der wenigen, der nicht in Anzug und Krawatte in der Runde der Minister tage. Noch hält sich die weißbärtige Eminenz zurück. Erst wenn die US-Regierung sich entscheidet, wer ihr Favorit für die Präsidentschaftswahl im August ist, werden Khan und all die anderen afghanischen Politiker aus ihrer Deckung kommen.
Dieser Tage war Ismael Khan zu einem spontanen Besuch in Herat. Rund 4.000 Anhänger fanden sich ein in seiner Privatresidenz, darunter ehemalige Kampfgefährten. Alle wurden kostenlos bewirtet, die Pflicht eines Khan nach afghanischer Sitte.
Wenn es stimmt, was Wahid über Ismael Khan sagt, dann ist jede Allianzen für ihn opportun, die sich rechnet. Auch für die Qatalis. Ganz gegen den Trend haben Wahid und sein Vater vor fünf Jahren gegen Karsai für einen anderen Kandidaten Wahlkampf-Kampagne gemacht. Jetzt erwägen sie Partei für ihn zu ergreifen – wiederum gegen den Trend, wie es im Moment aussieht. Was Ismael Khan entscheidet ist den Qatalis Befehl, von seinem politischen Überleben hängt auch das ihre ab.
Dem mag etwas Feudales anhaften. Zugleich sind die Qatalis konsequente Geschäftsleute, die ihre tribale Macht längst in politische und wirtschaftliche umgemünzt haben. Wirkliches Vertrauen in der Bevölkerung, so mein Eindruck, geniessen sie nicht. Trotzdem werden die meisten ihre Anhänger im August wählen, wozu Ismael Khan und Wahid ihnen raten. Khan hat übrigens zu der grossen Versammlung in seiner Privat-Residenz die öffentlichen und privaten Fernseh-Sender eingeladen, ausser Tolo TV. Der populärste uner den afghanische Sendern liegt nach wie vor im Clinch mit den meisten afghanischen Konservativen weil er ungezügelt indische Soaps ausstrahlt und auch „Afghan Star“, eine Kope von ‚Deutschland-sucht-den-Superstar“.

Mehr als ein Hoffnungsschimmer: in Herat gibt es eine kleine Anzahl von Film-Autorinnen, daruntre die Schwestern Sadat. Die eine, Roya, hat gerade ihren neuesten Film fertiggestellt, von dem wir, mit ein wenig Glück in Kürze auch auf internationalen Festivals hören werden. Ihre Schwester Alka betätigt sich ausschliesslich als Dokumentarfilmerin. Sie ist heute abgeflogen zu einem einjährigen Stipendium nach Italien. Meines Wissens die erste Frau seit dem Sturz der Taliban, die Film im Ausland studiert. Ich hatte sie letztes Jahr eingeladen zum Afghanistan-Sonderprogramm auf der Dok-Leipzig, Deutschlands grösstem Doku-Filmfest. Ihr Film lief dort im Wettbewerb der jungen Talente. Was in Italien klappt sollte auch in Deutschland möglich sein. Gerade habe ich ein Schreiben an die Kabuler Büros von Goethe-Institut und DAAD geschickt. Mein Ziel ist, dass wir auch für afghanische Filmtalente Stipendien ausschreiben in Deutschland.
Es werden Filme daraus entstehen, die uns Afghanistan mit anderen Augen zeigen, wahrhaftiger als vieles was westliche Kameraleute je mit der Kamera einfangen können. Alka Sadats Half Value Life, die Geschichte einer afghanischen Staatsanwältin, ist dafür der beste Beweis.

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