Mittwoch, 8. April 2009

Nachrichten aus Absurdistan





Cathlyn, 35, arbeitet als zivile Helferin im amerikanischen Wiederaufbau-Team in der Provinz Farah im Westen, einer Grenzregion zum Iran. Jedes Mal wenn sie zur Arbeit geht wird sie von
15 (!) schwer bewaffneten Body Guards begleitet, 13 afghanischen und zwei internationalen Sicherheitskräften, die vor ihr hergehen bzw. herfahren. Sie selbst trägt eine gepanzerte Schutzweste dabei, die sie am Liebsten gar nicht anlegen würde. Dies sind die Vorschriften ihres Arbeitgebers, der staatlichen Entwicklungshilfe USAid, für den sich Cathlyn entschlossen hat einen 72-Tage-Vertrag zu unterzeichnen. In dieser Zeit soll sie als „Gender-Expertin“ Projekte auf den Weg bringen, die die Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft stärken. Eine nahezu unmögliche Mission. Es geht darum Textilien, die 50 Frauen einer Kooperative in Farah herstellen, an den Mann zu bringen. Cathlyn reist, offenbar ohne ausreichende vorherige Marktanalyse, im Land herum um Herat und anderswo einen Absatzmarkt für die Textilien zu finden. Je länger ich mich mit ihr unterhalte, desto offensichtlicher wird der Widerspruch zwischen den Massen an Geldern, über die sie für ihren Auftrag verfügt und der Not, dieses Budget in der extrem kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung steht, sinnvoll zu verplanen. Ähnlich geht es Hunderten von gutklingenden Hilfsprojekten, die an Schreibtischen von Ministerien fern von Afghanistan entworfen worden sind.
„I am here to make a difference“ – den Satz trägt sie wie viele Helfer wie eine Monstranz vor sich her. Worin der „Unterschied“ bestehen könnte ist unklarer denn je.
Farhad, der mehrere Jahre für eine deutsche Hilfsorganisation in Farah gearbeitet hat und behauptete die Region wie kein anderer zu kennen, meint einen Ausweg zu wissen. „Für 4.000 oder 6.000 Dollar kann ich hier erfolgreiche Projekte starten, die den Menschen helfen und ihre Eigeninitiative fördern.“ Das NATO-Militär sei dafür zu aufgerüstet, auch zu fern von ihren eigentlichen Beweggründen, um Vertrauen zu schaffen; die afghanische Regierung zu ineffizient.

Wenn 15 Bewaffnete allein zum Schutz von Cathlyn da sind, welcher Aufwand musss dann betrieben werden um die 300 und mehr Zivilisten zu schützen, die die neue US-Regierung aber auch Deutschland und andere Staaten nach Kabul und in die Provinzen schicken wollen? Der Verantwortliche der Cooperazione Italiana, des italienischen PRTs in Herat, bewegt sich mit einem halben Dutzend Sicherheitsbeamten zu privaten Treffen. Das Auftreten derselben verändert den Charakter solcher Begegnung unmittelbar.
Ausser ihr und einem Dutzend Ausländer im PRT-Militärcamp gebe es keine Ausländer in der ganzen Provinz Farah, meint Cathlyn. Farhad pflichtet dem bei. Die Ausdünnung von internationalem Personal in den Provinzen ist der Sicherheit geschuldet. Natürlich ist es besser, dass afghanische Helfer (statt ausländischer) die Projekte vorantreiben. Andererseits ist ein Zeichen dafür, wie behutsam Hilfsorganisationen zunehmend vorgehen müssen. Kampfzonen sind faktisch auch nach Abzug des Militärs erst einmal no-go-areas.

Helfer wie Einheimische in Farah gehen davon aus, dass mittlerweile die Mehrheit der Distrikte der Provinz Farah „in Händen von Taliban“ seien, wie ihr Übersetzer sagt. Wer aber ist ein Talib?, frage ich Faramarz. Der Begriff wird inflationär benutzt, ohne dass es eine klare Definition gibt. „Erstens jene, die das Entführungsgeschäft betreiben“, zählt er auf, „sie machen keinen Unterschied zwischen Ausländern und Einheimischen. Zweitens Diebe und Räuberbanden, die Strassensperren errichten und Passanten ausrauben. Drittens Gruppen, die gegen die Regierung und die Präsenz von Ausländern in Afghanistan sind, auch gegen mich als Übersetzer.“ Die grassierende Arbeitslosigkeit verschaffe den Taliban allenthalben Zulauf. Für kleines Geld seien junge Menschen zu weitreichenden Gewalttaten bereit.

Ich sitze mit Cathlyn in Herat, im Haus afghanischer Mitarbeiter, beim Abendessen (Bild). Die Lage hier ist vergleichbar entspannt. Was den Abend interessant macht ist ein offenes Gespräch darüber wie Ausländer und Afghanen miteinander oder besser gesagt aneinander vorbeileben. Zwischendurch wird immer wieder gelacht. Das ist nicht unbedingt immer so. Afghanen erleben die Ausländer in ihrem Land überwiegend als ernst, was eine Art sein kann, Angst und Angespanntsein zu überspielen.
Es wird Pilaw serviert, Reis mit Rosinen, dazu Huhn, Rind und Hammelfleisch. Faramarz, Cathlyns Übersetzer, erzählt wie im PRT-Stützpunkt in Farah in regelmäßigem Abstand Schweinefleisch auf dem Speiseplan stehe. Cathlyn ist schuldbewusst. Sie fängt von vorne an: Afghanistan gehe es u.a. so schlecht, weil ab 2003 viele Kräfte – zivile wie militärische – in den Irak abgezogen worden seien. Sie habe damals für die Vereinten Nationen gearbeitet, „3 Monatsverträge, es war unmöglich eine Langzeitplanung zu machen, geschweige denn eine Strategie. Je länger mein 1-Jahres-Aufenthalt dauerte, desto weniger qualifiziert waren die Mitarbeiter, die eingeflogen wurden, denn für einen Kurzaufenthalt waren die besten Kräfte nicht zu gewinnen. Ich hatte drei Chefs innerhalb von drei Monaten“. Grundsätzlich hat sich daran nur bedingt etwas verändert. Die Vereinten Nationen sind immer wieder durch ihre choaotische Personalpolitik aufgefallen, in Kabul werden viele Verträge, auch bei den diplomatischen Missionen, für ein Jahr vergeben, ohne Verlängerung. So lassen sich nur wenig Netzwerke und Projekte konsequent aufbauen. Jeder zweite Neue der kommt, stösst die Pläne seines Vorgängers wieder um oder braucht das eine Jahr, um sich überhaupt einzufinden. Dann geht er wieder.

Das Gespräch mit Cathlyn und ihren afghanischen Begleitern wird privater. Es geht um das jüngste Gesetz, das Präsident Karsai unterschrieben hat und in dem Frauen schiitischen Glaubens vorgeschrieben wird, unter welchen Umständen sie auf die Strasse gehen dürfen und in dem Vergewaltigung in der Ehe faktisch sanktioniert wird.
Ein Rückschritt für Afghanistan, stimmen die Anwesenden in den Tenor der ausländischen Kritiker ein. Die afghanischen Medien fassen das Thema mit Samthandschuhen an. Im Fernsehen gibt es keine Bilder zu entsprechenden Meldungen. Die fragwürdigen Passagen werden nicht annährend wörtlich genannt, die Zuschauer können sich also nicht annährend ausreichen informieren.
Warum das Fernsehen keine Bilder, keinen Wortlaut bringt ? Aus Scham würden wir vermutlich sagen. Aus der Verantwortung privaten Dingen ihre Privatheit zu lassen, würden afghanische Behörden und Medienverantworltiche vermutlich sagen. Die afghanischen Medien, zumal unter dem augenblicklichen Druck der auf Journalisten lastet, machen das Spiel notgedrungen mit.
Unsere afghanischen Gastgeber versuchen sich mit Humor aus einer Diskussion zu winden, die immer schwerer und anklagender für sie zu werden droht. Sie nehmen Cathlyn aufs Korn, in dem sie die Rolle zurückgebliebener Patriarchen miemen und sie mit ein paar Witzen freundlich necken. Sie ist klug genug, darauf einzugehen.

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