Montag, 7. September 2009

Der "GAU"









Mein jüngster Artikel im Tagesspiegel über die aktuelle Lage in Kunduz begann mit der Beschreibung eines Tanklasters, der ausgebrannt auf der Landstrasse zwischen Kundus und Baghlan liegt und symbolisch auf die neuen Gefahren in der Region verweist. Von Tadschikistan kommend ist die Hauptstrasse seit kurzem Versorgungsweg der NATO in die Region und nach Kabul u.a.. Hier fuhren auch die beiden Tanklaster, die auf Befehl der Bundeswehr beschossen wurden am 3. September (die Zahl der Opfer ist immer noch unklar. Die Angaben reichen von „56 Aufständischen“ (Bundesverteidigungsministerium) bis zu über 100 in den afghanischen Medien.)
Das ausführende Flugzeug war offenbar eine US-Maschine, die laut Angaben meines Stringers vom US-Luftstützpunkt Bagram bei Kabul gestartet sein soll.
Mittlerweile ist die kuriose Situation entstanden, dass ausgerechnet das US-Militär und sein NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, die bislang für die meisten unverhältnismässigen Luftangriffe der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht werden, solches Verhalten indirekt der Bundeswehr vorwerfen, die bisher immer mit dem Finger auf die Amerikaner gezeigt hatte angesichts von Negativauswirkungen für die übrigen ISAF-Nationen.
Offenbar hat es ernsthafte Verstimmungen gegeben zwischen deutschen und us-amerikanischen Veratnwortlichen, wie man unschwer aus dem Artikel der Washington Post entnehmen kann. Der Artikel hat Kronzeugen-Charakter. Wenn einige der Punkt, die darin erwähnt sind, namentlich in der Auseinandersetzung zwischen deutschem Befehlshabenden und US-amerikanischem Oberbefehlshaber für Afghanistan bestätigen wird das die Debatte weiter entfachen. Implizit enthält der Artikel den nicht direkt ausgesprochenen Vorwurf, die deutsche Seite wirke durch ihr Verhalten einer raschen Aufklärung der Vorkommnisse entgegen, ja verhindere diese möglcherweise


Winfried Nachtwei, einer der Gäste auf dem Afghanistan-Filmfestival, das ich über das Wochenende in Hamburg co-organisiert und kuratiert habe, hat in der aktuellen Podiumsdiskussion die wir dort zum Thema hatten von einem ‘GAU’ gesprochen. Er befürchtet, dass Ansehen und Sicherheit der Deutschen im Norden nachhaltig leiden werden.
Nachtwei ist Obmann im Verteidigungsausschus des Bundestages. Er beklagt in den 3 Tagen seit dem Ereignis unveränderte eine „Informationssperre“ von Verteidigungsminsterium und Bundesregierung. Er habe nicht mehr als eine lapidare 16-Zeilen-Meldung des Ministeriums erhalten, die keinerlei Aufklärung erhalte. „Die hohen Operzahlen können zum politischen Wendepunkt im Raum Kunduz/Norden werden, aber auch hierzulande“, heisst schreibt er und fordert wie viele eine schnelle, rückhaltslose und glaubwürdige Aufklärung.
Ein Vertrauensdefizit auf afghanischer Seite hat sich bereits eingestellt: Die afghanischen Medien erwarten auch heute (Montag früh) noch immer eine Presseerklärung des deutschen PRT in Kunduz zu den Vorgängen. Die betroffene Bevölkerung, so sagt mir der afghanische Leiter einer NGO in Kundus heute früh, warte auf eine Entschuldigung angesicht der zivilen Opfer.
Nachtwei schreibt weiter: „Schon tagsüber, erst recht nachts sind Kämpfer und Zivilpersonen schwer auseinanderzuhalten. (…) Im Sommer sind Menschen auch nachts auf den Feldern. (…) Insofern halte ich es für wahrscheinlich, dass Zivilpersonen vor Ort waren.“
“Es gibt keine Mitgliedskarte für Taliban-Anhänger“, meint Asef Hosseini, ein junger afghanischer Intellektueller. Das Festhalten der Bundeswehr an ihrer bisherigen Linie würde bedeuten, so fügt er hinzu, dass sich viele Familien zu Unrecht beschuldigt fühlten und natürlich versuchen einen solchen Eindruck friedlich zu entkräften. Dem könnte ein Treffen von ‚elders’ aus den betroffenen Dörfern beim Gouverneur heute dienen. Von drei Untersuchungskommissionen (afghanische Regierung, UN und ISAF) ist die Rede. Man darf gespannt sein, wie schnell sie ihre Ergebnisse vorlegen. Bei einem Bombardement ähnlichen Ausmasses vor wenigen Monaten in der Provinz Farah kam der Abschlussbericht nicht nur spät. Er konnte wesentliche Vorwürfe afghanischer wie internationaler Akteure auch nicht entkräften.
In der Debatte ist die Frage aufgeworfen worden, inwiefern dieser Angriff möglicherweis mit Absicht herbeigeführt worden sei, z.B. mit dem Ziel ein grösseres militärisches Engagement im Norden zu erreichen., dass manche in der Region Kunduz für angeraten halten. So etwas ist Spekulation. Fakt ist, dass es Stimmen auf amerikanischer Seite gibt, die den Deutschen Zögerlichkeit und Ineffizienz vorwerfen angesichts einer zunehmend unsicheren Lage in Kundus. Es ginge demnach weniger darum, dass die US-Amerikaner die Führung militärischer Operationen übernehmen könnten (die findet faktisch auch im Raum Kunduz offenbar bereits statt, mehrere Spezialoperationen in der Provinz, so ist zu hören, hat das US-Militär ohne nennenswerte Unterrichtung der deutschen Kommando-Strukturen vorgenommen, u.a. eine Anti-Terroroperation gegen mutmassliche Al Qaida-Mitglieder im Frühjahr in Imam-Saheb) als die Deuschen an ihre Bündnisverpflichtungen zu erinnern und Zeichen zu setzen (sieh dazu auch den Artikel im Tagesspiegel.
Der Gouverneur von Kunduz, so mein Stringer, stütze die Version der Bundeswehr bisher, aber, so lässt er durchblicken, mehr aus politischem Druck denn aus Überzeugung. Die Menschen in Char Dara und den anderen Distrikten hätten Angst von Ort zu Ort zu fahren. „Nobody feels secure“. Geordnete zivile Entwicklungshilfe in den benachbarten Distrikten wird vor dem Hintergrund erschwert. Überhaupt werden die zivilen Helfer vor Ort die Folgen am Ehesten zu spüren bekommen.
Dringender denn je sind jetzt diplomatische Initiativen. „Die neue Strategie der US-Regierung lautet im Grunde „Tee trinken, Tee trinken, Tee trinken mit den Afghanen“, so ein Experte für interkulturelle Kompetenz etwas sarkastisch. Allerdings, so fügt er hinzu, habe sich die Erkenntnis noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Tee trinken mit den Afghanen braucht fähige Dolmetscher. Daran fehlt es der Bundeswehr in Kundus zur Zeit. Die Deutschen suchen händeringend nach afghanischen Übersetzern. Nach dem jüngsten Vorfall dürften diese noch schwerer zu finden.sein. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wiegt Geld auch bei den Jüngsten, die diese Arbeit regelmäßig übernehmen, nicht mehr alles auf.

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