Dienstag, 8. September 2009

Der psychologische Faktor






Ein Hintergrundstück, das ich über die Ereignisse in Kunduz für den Tagesspiegel geschrieben habe, ist dort mit dem etwas verkürzenden Titel 'Reden und Tee trinken' überschrieben. Die Überschrift erscheint mir etwas mißverständlich. Mein Plädoyer ist im westenlichen eines für mehr interkulturelle Ausbildung und Kompetenz, auch für bessere Kommunikation und ein verändertes Auftreten in Afghanistan. Ich hege nicht die Illusion, dass sich Feindbilder in der derzeitigen Lage abschaffen lassen, aber wenn es gelingt sie zu relativieren, den kulturellen Kontext besser zu erfassen, kann dies möglicherweise dazu beitragen solche Ereignisse künftig zu vermeiden.
Hier der ursprüngliche Hintergrund, ergänzt um weitere Beobachtungen.


Der psycholgische Faktor: Vertrauen und Vertrauensverlust nach dem Desaster von Kundus

Neben der unklaren Faktenlage der Ereignisse von Kundus spielen psychologische Faktoren und Kommunikation eine grosse Rolle. Sie entscheiden oft über das weitere Verhalten der Menschen vor Ort. Davon hängt auch ab, ob und inwieweit sich Afghanen und Deutsche in Kundus demnächst überhaupt noch vorurteilsfrei auf der Strasse begegnen können.
Auch drei Tage nach den Ereignissen warten nicht nur afghanische Medienkollegen sondern vor allem Familien und Angehörige von Opfern ein offizielles Statement des deutschen PRT in Kundus. Auch eine Entschuldigung bei ihnen ist bisher ausgeblieben. Jeder Tag, der unbeantwortet vergeht lässt Spekulationen ins Kraut schiessen und ist Wasser auf den Mühlen der Aufständischen.
Anfänglich erklärte die Bundeswehr, unter den Tätern seien ohne Ausnahme Taliban. „Dies ist heikel“, so Asef Hosseini, ein afghanischer Intellektueller. „Es kränkt jene, die es zu Unrecht trifft und verletzt ihren Stolz.“ Hosseini verweist darauf, dass „Taliban und jene, die mit ihnen sympathisieren keine Mitgliedsausweise mit sich führen“. Die Grenzen verlaufen nicht schwarz-weiss, wie das der Militär-Jargon bisweilen nahe legt. Wann fängt Jemand an, aus Sicht der NATO ein Talib zu sein? Wer legt diese Grenze fest? Gibt es unterschiedliche Kriterien zur Bekämpfung aktiver Taliban und passiver Sympathisanten?
Es heisst in einigen Äußerungen, es hätten sich nur Menschen an den Tanklastern zu schaffen gemacht, die „unter Kontrolle“ der Taliban gestanden hätten. „Kontrolle“ wird in dem Fall über Waffengewalt ausgeübt. Die Mehrzahl der einfachen Afghanen sind unbewaffnet und fühlen sich bedroht. Das Mitmachen am Entleeren des Tanklasters ist also noch nicht automatisch ein Beweis für Mittäterschaft.
Wie unterschiedlich gedacht und empfunden wird zeigt der Hinweis in afghansichen Medien, es sei geplant auch Familien mutmasslicher „Taliban-Opfer“ finanziell zu entschädigen.
Der Begriff der Bedrohung im afghanischen Kontext ist nur begrenzt objektivierbar, nicht nur was Kunduz angeht. Es vermischen sich objektive und subjektive Kriterien. Ein Beispiel: am Neujahrstag erhalten viele afghanische Jugendliche Spielzeugwaffen als Geschenk, die mehr oder weniger echt aussehen. Ihr Spielplatz ist die Strasse. In ISAF-Flugblättern wurde die Bevölkerung in der Vergangenheit vor Verwechselungen mit echten Waffen gewarnt. In mindestens einem Fall soll ein Junge mit Spielzeugwaffe getötet worden sein.
Aus Sicht der ISAF mag die Bedrohung möglich bzw. real erscheinen. Für ausländische Entwicklungshelfer in zivil erscheint die gleiche Situation vergleichsweise ungefährlich. Sie kennen das Treiben vor ihrer Haustür und gehen von Anfang an anders mit der Situation um.
Der deutsche Kommandeur in Kundus soll US-General Mc Chrystal bei der Untersuchung nahe gelegt haben, aus Sicherheitsgründen den Tatort nicht zu inspizieren und auch nicht das Krankenhaus in Kundus mit Opfern. Mc Chrystal hielt dies offenbar für ein kalkulierbares Risiko.
„Ausbügeln“ müssen den Vorfall womöglich die übrigen Deutschen und Ausländer in Kundus. Entwicklungshelfer, Diplomaten, Journalisten. Schon vor Wochenfrist im afghanischen Wahlkampf war hier eine deutliche Distanz zu spüren. Bevölkerung aber auch Amtsträger mieden den Kontakt mit den Ausländern. Schon die schiere Präsenz von NATO-Militärfahrzeugen lässt mittlerweile das Leben im Bazar, erstarren. Autofahrer steuern an den Seitenrand und rühren sich nicht vom Fleck, aus Angst für einen Selbstmordattentäter gehalten zu werden.
Gemeinsam mit Militärs gesehen zu werden lehnen viele Helfer schon seit geraumer ab. Es bringt sie in Mißkredit und auch jene Afghanen, die mit ihnen arbeiten. In Zukunft dürften deutsche zivile Helfer gerade in Kundus noch weniger geneigt sein, sich mit Bundeswehr sehen zu lassen, und sei es nur für das berühmte Erinnerungsfoto.
Einige Bundeswehr-Soldaten haben ihre Afghanistan-Erinnerungen mittlerweile in Buchform veröffentlicht. Wir erfahren darin viel über ihre Ängste und den psychischen Druck, dem sie nicht zu leugnen ausgesetzt sind, weniger über Afghanistan und seine Menschen. Eine Begegnung mit Einheimischen, die über ein Händeschütteln hinausgeht, haben viele von ihnen nicht erlebt. „In der Ausbildung wird der Eindruck erweckt, hinter jedem Baum in Afghanistan verstecke sich ein Talib“, sagt ein Reserve-Offizier der Bundeswehr, der zweimal im Norden eingesetzt war.
Der Reservist ist längst wieder in Deutschland. Die Frage aber bleibt: sind Offiziere und Mannschaftsgrade ausreichend auf den Umgang mit der Situation vor Ort eingestellt. „Es gehen junge Handwerker als Soldaten nach Afghanistan, die mit der komplexen Lage vor Ort vollkommen überfordert sind“, sagt ein Experte, der unerkannt bleiben möchte.
Deutsche Offiziere und Kommandierende in Kundus sind mittlerweile einem erheblichen Druck ausgesetzt, die verschiedenen Sprach-Regelungen einzuhalten: einen für die deutschen Medien, einen für die afghanische Öffentlichkeit und einen für die interne NATO-Kommunikation. Sie sind zunehmend im Gespräch mit Militärpsychologen und Militärseelsorgern vor Ort.
„Die neue Strategie der Amerikaner bedeutet im Grunde Tee trinken, Tee trinken, Tee trinken mit den Afghanen“, sagt so der Experte sarkatisch. Im Kern würde Stanley Mc Chrystal, der neue NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, das womöglich unterschreiben. Dies habe sich allerdings noch nicht an allen Standorten herumgesprochen. Was es brauche, so der Experte, sei interkulturelle Kompetenz, die Kultur und Denken der Afghanen voll respektiere.
Tee trinken mit den Afghanen braucht fähige Dolmetscher. Daran fehlt es der Bundeswehr in Kundus zur Zeit. Die Deutschen suchen händeringend nach afghanischen Übersetzern. Nach dem jüngsten Vorfall dürften diese noch schwerer zu finden.sein. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wiegt Geld auch bei jungen Männern , die diese Arbeit regelmäßig übernehmen, nicht mehr alles auf.
„Die Afghanen sind Zaungast“ zwischen Taliban und ISAF, meint der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes zu den Ereignissen in Kundus. Wenn es die Ohnmacht der Bevölkerung meint, ihren Alltag trotz der Angriffe und Schiessereien zu bewältigen, dann mag man das so sehen. „Gast“ sind bis auf weiteres noch immer die über 40 Nato-Staaten in Afghanistan, auch wenn faktisch hinter den Kulissen die wirklichen Kräfteverhältnisse oft andere sind.
Das Verteidigungsministerium, das sich in der Defensive befindet, hat die afghanischen Sicherheitsbehörden in Kundus zitiert. Diese hätten den Angriff ausdrücklich gut geheissen. “Wenn der Gouverneur oder Sicherheitschef von Kundus die deutsche Version nach aussen stützen, dann mag das aus Überzeugung geschehen. Es mag aber auch taktisches Verhalten dabei geben“, meint ein afghanischer Journalist in Kundus. Unlängst wurde der Bundeswehr auf von Afghanen in Kundus vorgeworfen, zu zaghaft gegen Aufständische zu agieren. Nach aller Erfahrung heisst dies nicht, dass das andere Extrem damit gut geheissen wird, zumal wenn dabei Zivilisten ums Leben kommen.

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