Freitag, 21. August 2009
Wähler an der Urne, trotz allem
Man kann sich an vieles gewöhnen innerhalb kurzer Zeit. Zum Beispiel an Geschosse, die im Laufe eines Tages zwischen Wahllokalen einschlagen. Mindestens fünf Raketen tagsüber in der Stadt. Drei Kinder wurden verletzt, zwei Erwachsene. Kunduz ist geschätzt so gross wie die bewohnte Fläche des rechtsrheinischen Köln. Am Morgen hatte ich mich mit einem afghanischen Journalisten aufgemacht einige unabhängige Wahlbeobachter in ein Wahllokal zu begleiten. Eines der Geschosse schlug zum gleichen Zeitpunkt deutlich hörbar ein paar Hundert Meter von der Schule entfernt auf einem Feld ein. Rauch stieg auf. Viele Menschen waren unterwegs zu dem Zeitpunkt. Für Sekunden herrschte Verwirrung. Frauen und Männer, die gerade das Wahllokal verlassen hatten wurden aufgeschreckt, zerstreuten sich in alle Richtungen. Woher kam der Beschuss? Wie sich verhalten?
Die meisten Menschen reagieren bemerkenswert unbeirrbar. Den ganzen Tag waren ähnliche Detonationen in und um die Stadt zu hören. Den ganzen Tag gingen die Menschen aber auch weiter in die Wahllokale. Es mögen um die dreissig Detonationen gewesen sein in und um die Stadt zwischen sieben Uhr morgens und vier Uhr nachmittags, dem Zeitpunkt an dem die Wahllokale schlossen. Von wem die Geschosse abgefeuert wurden ist nicht immer klar. Taliban oder Handlanger in ihren Diensten, die gegen Geld Raketen abfeuern sind Legion. Am Nachmittag, so erfahre ich von einem Mitglied der afghanischen Wahlkommission, beteiligt sich auch das deutsche Militär am Beschuss von mutmasslichen Taliban in einem Bezirk rund 10 Kilometer ausserhalb der Stadt.
Der Mann, der mir das mitteilt, erzählt er sei dort drei Stunden lang eingekreist gewesen von Gegnern der Regierung. Mit dem Polizeichef von Kundus haber er telefoniert und um Verstärkung gebeten, vergeblich. Er könne ihm nicht helfen, zu wenig Männer und zu hohe Verluste in den vergangenen Wochen. Der Wahlkommissar greift erneut zum Thuraya, ruft jetzt den Kommandeur des deutschen PRTs an. Vor dort sei dann auch geschossen worden, erzählt er.
Auf dem Land und in den Dörfern der Provinz hat keine geordnete Wahl stattfinden können gestern, Es fehlte an Polizei und Armee. Die offizielle Liste der offenen Wahllokale war von Anfang an trügerisch formuliert um nach aussen hin ein gutes Bild abzugeben. Ausserhalt der Distrikt Hauptstädte gab es kaum unabhängige Beobachter.
In der Stadt dagegen verlief der Wahltag, vor diesem Hintergrund, vergleichsweise unbeirrt. Natürlich bleiben auch hier Menschen zuhause, Frauen vor allem. Abgesehen von der Mittagszeit, wo gegessen wird, waren die Wahllokale, die ich mir angesehen habe überwiegend gut besucht, zum Teil standen die Menschen am Vormittag Schlange.
Man belächelt die Afghanen insgeheim, wenn sie im Gespräch äussern sie kennten keine Furcht, Krieg gehöre zu ihrem Alltag und begleite ihr Leben seit jeher. Fast inflationär finden sich solche Zitate in unseren Medien. Oft mißinterpretiert als eine Form naiven Heroismus.
Die jungen Frauen von FEFA, die den ganzen Tag als unabhängige Beobachter nachgeschaut haben an den Urnen, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht, waren in ihrer Zielstrebigkeit nicht zu bremsen, gut gelaunt, und von einer beeindruckenden Zuversicht.
Gerade jüngere Menschen sind auf unaufgeregte Art entschlossen etwas beizutragen, damit ihre Gesellschaft sich verändert. Eine 18-jährige Journalistin, die ich getroffen haben, hat überhaupt kein Verlangen andere Länder zu sehen. Zumindest nicht jetzt. Weder Iran noch Europa oder die USA. Nicht weil der Westen ihr nichts bieten könnte. Sondern weil sie täglich Möglichkeiten und Grenzen durchmisst, in einem Leben, in dem sie sich einen Traum vor Augen hält: Staatsanwältin zu werden. Journalismus ist für sie eine Zwischenstation. Täglich berichtet sie über all das, was nicht machbar ist für Frauen in Kunduz. Ihren Optimismus schöpft sie aus vielen kleinen Veränderungen im Alltag. Einige ihrer Interviews werden, über den Äther, zum Stadtgespräch. Hörer sprechen ihr und sich Mut zu. Ihr Bruder, etwas jünger als sie, sagt: deine Arbeit als Journalistin bringt uns noch um. Sie macht trotzdem weiter. Letztlich scheint es der Familie ernst zu sein mit den Möglichkeiten ihrer Tochter.
Vieles ist ein Kampf gegen die Angst. Reale wie eingebildete Ängste. Wie gross die Gefahr wirklich ist, ist schwer zu sagen. Sich an die Maßstäbe der Bundeswehr zu halten ist nicht immer der beste Rat. ‚Wenn das Militär mit ihren gepanzerten Fahrzeugen mit 60 oder mehr km/h durch die Innenstadt rollt und ein Kind dabei zu Schaden kommt, ist in einem Moment unsere Arbeit von mehreren Monaten dahin und wir sind in Gefahr’, sagt ein deutscher Entwicklungshelfer in Kunduz. Das Offizierskorps der Bundeswehr, fügt er hinzu, habe aber auch gelernt mittlerweile. Oben auf dem Plateau von Kundus, wo auch die Neustadt ensteht, liegt, von einer kilometerlangen Mauer eingezäunt, das Camp des deutschen Wiederaufbauteams. Journalisten und Kamerateams aus Deutschland suchen in diesen Tagen dort Sicherheit. Selten sind sie in der Stadt anzutreffen. Essen und schlafen tun sie ‚embedded’ mit den rund 700 Soldaten der Bundeswehr, die sich unter freiem Himmel im Lager einen Beach-Volleyball-Platz eingerichtet haben.
Das ARD-Fernsehteam, das ich am Morgen des Wahltags in einer der Schulen sehe besteht aus zwei afghanischen Mitarbeitern, die Mikrofon und Kamera bedienen. Es ist Usus geworden, dass die afghanischen Mitarbeiter für deutsche Medien den Ertrag einfahren und am Ende des Tages ihre Bänder oben beim PRT abliefern. Sie werden dafür gut bezahlt. Eine Versicherung haben die afghanischen Kollegen trotz allem nicht.
Abgesehen vom Vertreter des Auswärtigen Amtes, der in zivil unterwegs ist, treffe ich am Wahltag keinen Ausländer. Die Wahlbeobachter der EU, ein knappes Dutzend, hätte den ganzen Tag im Bau der afghanischen Wahlkommission gesessen, heisst es. Sie liessen sich dort von afghanischen Mitarbeitern über die Wirklichkeit draussen briefen.
Für mich und mein Team sind die Interviews in der Stadt jeden Tag mühsamer geworden.
Die Menschen meiden den Kontakt, einige wollten schon Tage vor der Wahl nicht mit Ausländern gesehen werden.
(siehe auch Tagesspiegel vom 22.8.09)
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