Freitag, 21. August 2009

Kunduz Portraits: Polizeichefin ohne Waffe


Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
Die Beiträge sind auch im Tagesspiegel abrufbar.

Afghanische Polizistin im Einsatz für die Frauen
Wie die 29-jährige Polizeibeamtin Marzia in Afghanistan gegen die häusliche Gewalt kämpft - ohne Waffe und ohne Schießausbildung. Ein Porträt.

Marzia kommt eine Stunde zu spät zu unserem Treffen. Am Morgen habe es in der Stadt einen Selbstmordanschlag gegeben. Sie habe sich erst vergewissern müssen, ob der Tatort auf dem Weg zu ihrer Arbeit liege und was passiert sei. Die Entwarnung erreicht sie etwas später, per Telefon. Eine wirkliche Erleichterung ist es nicht: Ein Selbstmordattentäter hatte sich kurz vor der Stadt vor einem Nato-Militärfahrzeug in die Luft gesprengt. Keine Opfer, heißt es. Dafür noch mehr Anspannung.

Marzias Schreibtisch steht in der Polizeikommandantur. Mit 29 ist sie die jüngste Beamtin in der Stadt, aber mit bereits zehn Jahren Berufserfahrung – daher ist sie auch Chefin von einem Dutzend Kolleginnen. Marzia trägt keine Waffe. Eine Schießausbildung hat sie nie erhalten. Ihr Gegner ist für sie schwer greifbar und doch allgegenwärtig: Es ist die häusliche Gewalt, die Frauen durch ihre eigenen Männer oder Angehörige erleiden. Marzias Waffe ist ihr psychologisches Feingefühl. Sich anbahnende Scheidungen zu verhindern, die Frau zu ihrem Recht kommen zu lassen, dafür sei sie zuständig. Sie sei für die Gepeinigten eine Anlaufstelle. Aber wie viele kommen wirklich? Ein bis zwei Fälle pro Monat, sagt Marzia und gibt zu, dass es in Afghanistan schon Mutes bedarf, um sich als Frau alleine auf den Weg zur Polizei zu machen. Und was kann sie den Frauen anbieten? Es werde ein Protokoll des Tathergangs erstellt, der Ehemann müsse sich per Unterschrift verpflichten, keine Gewalt mehr auszuüben. Aber, gibt Marzia zu, die Chancen dies tatsächlich zu überprüfen, seien gering. Kontrollbesuche der Polizei in Familien seien nicht üblich. Alle zwei Wochen kommt die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation und tauscht mit ihr Informationen zur Sicherheitslage und zur Situation der Frauen aus.

Und insgesamt gibt es für die nach Marzias Ansicht in Kundus viel Fortschritt. Ihnen stünden neue Berufe offen, aber allein schon, dass viele wieder arbeiten könnten, sei wichtig. Ihr Gehalt beträgt umgerechnet 180 US-Dollar. Mit ihrem Mann, der Taxi fährt, hat sie drei Töchtern. Miete, Autoreparaturen und Einkäufe, die Familie käme gerade so über die Runden, sagt sie. Schon Marzias Mutter war Polizistin, sie schaffte es bis in den Offiziersrang. Jetzt ist sie im Ruhestand – und so stolz auf ihre Tochter wie die auf sie. Und dass Marzia auch bei den Kollegen Respekt und Ansehen genießt, ist deutlich zu sehen. Auch daran, dass eine Begegnung mit zwei jungen Beamten von einem älteren Kollegen beaufsichtigt wurde, das Gespräch mit ihr aber völlig ungestört bleibt.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 13.08.2009)

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