Dienstag, 3. März 2009

"We agreed, not to cooperate"


In Herat regnet es seit drei Tagen ununterbrochen. Flüsse treten über ihre Ufer, Wiesen werden zu Seen. 90 Lehmhäuser sind eingestürzt durch den Regen, es wird ein paar Tage dauern, eine genaue Schadensbilanz zu erstellen. Die Menschen sind dennoch zufrieden. Nach einem milden Winter ist das Wasser ein Segen für die Landwirtschaft. „Danach wird es sechs Monate lang nicht mehr regnen“, sagt ein Agrar-Experte, „da ist jeder Tropfen jetzt wertvoll“.
Gut war auch die Absicht auf der letztjährigen Pariser Afghanistan-Konferenz, inbesondere die Landwirtschaft in Afghanistan zu stärken. Afghanistan ist ein Agrar-Staat auf absehbare Zeit, rund 80 der Bevölkerung arbeiten auf den Feldern und hängt von der Ernte ab. Präsident Karsai gab in Paris das Ziel aus, sein Land wolle im Bereich der agrarischen Produkte autark werden. Ein ambitioniertes Ziel, das von vielen Experten belächelt wird und im besten Fall auf lange Zeit umzusetzen ist. Der Löwenanteil der Agrar-Importe, angefangen bei Reis, Öl und Gemüse stammt aus Iran und Pakistan. Zum Teil sind es aus Afghanistan reimportierte Waren. Ein Grund: am Hindukusch fehlen weiterhin Kühl- und Lagerkapazitäten, die Kartoffeln oder Blumenkohl bis in die nächste Jahreszeit frisch halten. Viele Helfer bemängeln dies seit Jahren, geschehen ist wenig. Zugleich ist der Bedarf enorm.
“We agreed not to cooperate“ („Wir haben beschlossen, nicht zusammenzuarbeiten“) kommentiert Herats Gouverneur Yosof Norrestani (Bild) die Verständigung zwischen afghanischer und internationaler Seite. Aus diesem Satz lässt sich viel herauslesen – der Frust, bei strategischen Entscheidungen übergangen zu werden, die Anklage, eine bessere Kooperation versäumt zu haben, die Aufforderung es besser zu machen. Der Gouverneur ähnelt nicht dem Klischee, das man sich vom wilden Afghanistan macht. Krawatte, Anzug, gepflegtes Äusseres. Der Mann hat in den USA studiert, offenbar sogar seinen Doktor gemacht. Er stammt aus Nuristan, der Region Afghanistans, die erst vor gut einem Jahrhundert islamisiert wurde. Er weiss wovon er spricht, wenn er die schleppende Aufbauhilfe kritisiert. Norrestani hat selbst als Entwicklungshelfer gearbeitet. Jetzt repräsentiert er die Regierung Karsai. Ein König ohne Land: den mittellosen Rückkehrern aus dem Iran kann er in den seltensten Fällen das von der Regierung versprochene Land zusagen, für die neu gepflanzten Baumalleen in der Stadt fehlt ihm ein Brunnensystem. Im Gespräch mit Hilfsorganisationen sondiert er, ob diese unmittelbare Hilfe bereitstellen können. Er tut dies mit der Geste eines Staatsmannes, möchte nicht als Bittsteller dastehen.
“We agreed not to cooperate“. Der Satz geht einem nicht aus dem Kopf. Der Sarkasmus ist nicht ganz unbegründet. „Tatsächlich gibt es für ganz Herat keine langfristige Strategie“, sagt der Leiter einer deutschen NGO. Hilfsorganisationen und afghanische Behörden stimmen sich seit Jahren nur über die Nothilfe ab. Etwa im letzten Winter, als viele Menschen durch einen Kälteeinbruch starben und hungerten, oder jetzt angesichts der Dürre im Norden. Bei den wirklich wichtigen Projekten und einer nachhaltigen Zusammenarbeit dagegen: Fehlanzeige. „Eigentlich wäre es Aufgabe von UNDP, des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen, auch die afghanischen, aber das geschieht nicht“, stellt er frustriert fest.
Mangel an Zusammenarbeit; fehlende Transparenz der Geberländer im Umgang mit Afghanistan; Hinweise über Milliarden-Hilfen, die nicht, zu spät oder falsch investiert worden sind – all das pfeiffen die Spatzen seit Jahren von den afghanischen Dächern. Vereinzelt nehmen sich deutsche Medien des Themas an. Der Grund liegt auf der Hand: es geht um möglichen Gesichtsverlust. Es geht aber auch um mögliche Einsichten, wenn man verstehen will, warum die Hilfe im achten Jahr nach den Taliban nicht die erhoffte Wirkung entfaltet, und darum zu verstehen, wie in Afghanistan Politik gemacht wird.
Die FAZ thematisiert aktuell mögliche „Rechenfehler der Geberländer“, von denen einige bereits unmittelbar nach der Pariser Konferenz im vergangenen Jahr die Runde machten. Tatsächlich soll die internationale Staatengemeinschaft deutlich weniger Gelder zugesagt haben als bisher angenommen. Zugesagte Gelder stauen sich ausserdem: dies hängt am afghanischen Behörden-Apparat und ungenügenden Kapazitäten, die Gelder effizient und gezielt zu verplanen. Die andere Seite der Medaille ist die bei Hilfsorganisationen und Geberländern verbreitete Skepsis, überhaupt mit dem afghanischen Staat zusammenzuarbeiten.
Eine unabhängige Studie im Auftrag der Grünen im europäischen Parlament kritisiert die vermeintlich überwiegend positive Bilanz der Bundesregierung in Sachen Wiederaufbau:
“ (…) Germany was not exactly a role model of aid effectiveness, so the starting point of this progress was fairly low. Furthermore, in the case of Afghanistan some statistics suggest severe failings: Only 9 per cent of Germany’s government aid actually utilizes administrative institutions of Afghanistan and alarmingly zero per cent of Germany aids was based on programs developed by the Government of Afghanistan.Adding to this the generally insufficient performance as the lead nation for police reform and an evident disinterest to engage in Afghanistan, calling Germany’s involvement in Afghanistan successful would be quite a stretch.”
Vor diesem Hintergrund erscheint die verbreitete internationale Kritik an Präsident Karsai und seiner Regierung als eine Anklage, bei der vier Finger auf die Geberländer zurückverweisen. Indem er Karsai zum Buhmann macht, bezichtigt der Westen nicht zuletzt sich selbst.

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