Samstag, 28. Februar 2009
Koch und Kellner
Neben vielen positiven Geschichten, in denen Einheimische und fremde Helfer gemeinsam Richtfeste feiern, Schulen einweihen oder zu Hochzeiten gemeinsam tanzen, gibt es auch die Kehrseite, das bewusste oder unbewusste Aneinandervorbeileben, die Parallelwelten, mitunter auch die Provokation, die dem Gastland entgegengebracht wird, dessen Gastfreundschaft von manch einem strapaziert wird.
In Kabul, Herat, Mazar und Jalalabad feiern jüngere Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Diplomaten oder Mitarbeiter von Beraterfirmen wöchentlich rauschende Partys weitgehend unter Ausschluss ihrer afghanischen Kollegen. Das scheint einerseits nicht anders zu gehen, weil der Ausschank von Alkohol offiziell verboten ist und Ärger mit den staatlichen Behörden vorprogrammiert ist. Andererseits entsteht so eine konsumistische Form der Apartheid, die zum Beispiel solche Afghanen beklagen, die Spirituosen grundsätzlich nicht abgeneigt sind, die aber das Nachsehen haben wenn ein Restaurant Alkohol nur gegen Nachweis eines ausländischen Passes ausgeschenkt oder Afghanen von vornherein nicht mit auf der Gästeliste stehen.
Eine Reihe Büros der Hilfsorganisationen werden von jungen Männern oder Frauen geleitet, die gerade einmal 30 sind oder sogar jünger, im Leben noch nicht unbedingt viel geleistet haben, wenig über ihr Gastgeberland wissen und täglich mit dem morgendlichen Speichern ihrer Lieblingsmusiken und dem abendlichen Planen von überwiegend hollywoodlastigen Filmabenden beschäftigt sind.
Dieselben Twens lassen sich oft von morgens bis abends von ihren afghanischen Hausangestellten bedienen und herumfahren, die ihre Eltern sein könnten, in einem Land, in dem Alter und Erfahrung in der Regel besonderer Respekt entgegengebracht werden und von denen nicht wenige ehrenhafte Berufe gelernt haben. Oft laut, gelegentlich halbtrunken hat diese Nachwuchskräfte aus Europa oder Amerika jegliche Scham weitgehend abgelegt und erwarten, dass ihre afghanischen Fahrer sie zu zur Tag- wie zur Nachtzeit abholen und durch die Stadt kutschieren.
Diplomaten, die Tacheles reden, bezeichnen es als einen Fehler, dass so viele junge Menschen unter den Helfern sind, wo doch das Land das Gegenteil bräuchte. Das betrifft z.B. eine 24-jährige Gender-Expertin, die ihre Magisterarbeit in Afghanistan fertig schreibt und ihren männlichen afghanischen Kollegen mit Kaffeebecher und Croissant in der Hand dessen eigene Heimat erklärt. Viele junge Entwicklungshelfer sitzen schon in frühem Alter in wichtigen Positionen. Sie sind familiär unabhängig, mobil und sorgen sich wenig um Fragen der Sicherheit. Erfahrene Entwicklungshelfer dagegen, die es dringend bräuchte, sind teurer und zögerlicher, weil die Trennung von ihrer Familie doppelt ins Gewicht fällt. Das Dilemma ist kaum zu lösen.
Es gibt aber auch den Landeschef einer deutschen Hilfsorganisation, der seiner afghanischen Mitarbeiterschaft Sauna und Swimmingpool als erstrebenswerte Notwendigkeit für den künftigen Bürobereich einreden will und dabei nicht merkt, an welchen gesellschaftlichen Stigmas er rührt. Nacktheit wir hier nicht zelebriert, öffentlich schon gar nicht. Der Entwicklungshelfer findet dies alles ‚scheissegal’, ein studierter Ethnologe noch dazu.
Die allerwenigsten Ausländer sprechen die Sprache ihres Gastlandes. Dabei ist dies ein Türöffner und kann Vertrauen, das eine rares Gut geworden ist, befördern. Stattdessen finden Dialoge auf Baby-Englisch oder Baby-Dari statt und nachdem man sich mitunter 3 Jahre lang kennt: „Guards, 2 breads. Car ready! Open gate“ oder „Du ta nan. Bukhari roshan.“
Mein Dari-Lehrer hält Ausländer generell für reiche Menschen. Er ist Universitäts-Dozent in Herat und besitzt ein eigenes Haus. Er sagt, er wisse, dass dies ein zurückgebliebenes Land sei, in dem die Menschen keine modernen Maschinen benutzten und nicht in der Lage seien, nach dem neuesten Stand der Erkenntnisse zu diskutieren. Er sagt auch, er glaube nicht, dass Afghanen zur Zeit das Sagen in ihrem eigenen Land hätten. Es missfällt ihm sichtbar, dass afghanische Technokraten aus dem Exil zurückgekehren, Berge an Geld verdienen und das Land nur noch tiefer in die Misere ritten. Und er prognostiziert, dass nur wenige Afghanen zur Wahl gehen würden im August, weil die Menschen das neu gewählte Parlament als fremd und aufgesetzt empfänden. „Dort sitzen die Mujaheddin; diejenigen, die auf die Gewalt der Waffen setzen; die Vertreter der Parteien, die keine Ahnung haben, was Gemeinwohl ist; und jene, die schlicht Diebe sind.“ Viele davon hätten angesichts eines Wahlrechts, das nicht zuletzt auf Betreiben westlicher Berater zustande kam, nie zur Wahl stehen dürfen. Aber der Westen hat sich für die Machtteilung mit den Machthabern von gestern entschieden. Ein nachhaltiger Irrtum.
Und hat Ustad Hasim, der Dari-Lehrer, nicht irgendwo Recht? Jahrelang hat Afghanistans Außenminister öffentlich auf Schelte an den Verhältnissen in Guantanamo verzichtet. Würde sich so der Vertreter eines wirklich souveränen Staates verhalten? Jetzt, wo Guantanamo geschlossen werden soll, bleibt das US-Militärgefängnis von Bagram vor den Toren von Kabul die Wunde im afghanischen Fleisch. Wie kommt es, dass weder Präsident Karsai noch Afghanistans Innen- oder Justizminister öffentlich zu einer Einrichtung Stellung nehmen, in der nicht weniger afghanische Insassen ohne rechtliche Grundlage einsitzen ähnlich wie auf Kuba.
Ein afghanischer Kollege schreibt mir aus Kabul über die neue Arbeit bei einer Hilfsorganisation, die mit Geldern der US-Entwicklungshilfe gefördert wird: „…the workspace is comfortable but the spirit is 17th century, especially nationality based discrimination (modern day racism). Expats (d.h. die Ausländer, Anm.d.Autors.) eat, sit and drive segregated and privileged. Afghans seem rather down. everybody has two faces. One at work and a personal one. Welcome to Afghanistan where everything is personal and public.”
Ein Einzelfall? Barnett Rubin, einer der führenden US-amerikanischen Afghanistan-Kenner schrieb über verbreitete Erscheinungen der Entwicklungshilfe: „ (…) Collectively we have generated an infrastructure serving only our needs that dwarfs the infrastructure provided for Afghans. This infrastructure -- of which the Serena Hotel is the flagship -- is the most visible part of the aid system to Afghans. Projects may mature in a few (or many) years, but right now Afghans see the guest houses, bars, restaurants, armored cars, checkpoints, hotels, hostile unaccountable gunmen, brothels, videos, CDs, cable television, Internet cafes with access to pornography, ethnic Russian waitresses from Kyrgyzstan in Italian restaurants owned by members of the former royal family and patronized by U.S. private security guards with their Chinese girlfriends and Afghan TV moguls, and skyrocketing prices for real estate, food, and fuel, traffic jams caused by the proliferation of vehicles and exacerbated by "security measures" every time a foreign or Afghan official leaves the office."
Die Analyse stammt von 2006, als das Serena 5-Sterne-Hotel in Kabul von Terroristen angegriffen wurde. Sie gilt unverändert. Bis heute wird weitgehend unterschätzt, welchen Effekt Kommunikation und interkulturelle Kompetenz zwischen Einheimischen und Gästen hat. Davon wiederum hängt nicht zuletzt der Erfolg vieler Aufbauprogramme ab.
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