Samstag, 7. März 2009
Fortschritt und Trauma
Den Geberländern und einem internationalen Medienritual verdankt Afghanistan neuerdings Feiern zum internationalen Frauentag. Manch eine macht das skeptisch. „Ich werde zu keiner der offiziellen Veranstaltungen gehen. Die Ehrerbietungen im Fernsehen an die Mütter Afghanistans sind wenig aufrichtig gemessen an der Wirklichkeit“, findet Manizha, die Anfang 30 ist, im pakistanischen Exil studiert hat eine seit Kurzem eine eigene Bildungseinrichtung in Herat betreibt. „Schau dir den Alltag auf der Strasse an. Frauen müssen das Kind im Arm tragen, die Einkaufstüten hinterhertragen und wartend am Boden kauern, alles unter dem Schleier. Sie müssen hinter den Männern gehen statt auf gleicher Höhe, weil die sich für ihre eigenen Frauen schämen.“
Manizhas Bildungskurse sind überwiegend von Frauen besucht: Englisch, Computer und Management. Sie durstet buchstäblich nach Wissen, sucht den Kontakt zu Ausländern, von denen sie einige für fähig, andere für gutbezahlte Fehlbesetzungen hält. Neuerdings arbeitet sie mit einer internationalen Hilfsorganisation. „Vieler meiner Landsleute sehen das kritisch wenn man eine Frau ist. Es geht der Verdacht, wir würden uns dort über Gebühr mit den Ausländern einlassen.“
Kraft schöpft sie aus dem Glauben, ohne jeglichen Fanatismus. Ihr Lächeln ist eine Einladung zum Dialog: „Der Islam gibt uns Frauen viele Rechte, er erzählt davon, dass unsere Männer uns unterstützen müssen, uns die Ausübung eines Beruf zusteht. In der Praxis wird uns das verwehrt. Neulich hat eine Bekannte von mir so argumentiert, der Mullah, der dabei stand hatte keine richtige Antwort darauf.“
Und sie bewegt sich doch. Oder nicht?
Nadja Anjuman ist eine der wenigen afghanischen Lyrikerinnen, die einen Eintrag im Internet-lexikon Wikipedia haben. Der afghanisch-französische Prix-Goncourt-Gewinner Atiq Rahimi hat ihr seinen neuen Roman gewidmet. 2005 ist Nadia Anjuman gestorben. Nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann hatte sie das Bewusstsein verloren. Kurz darauf verstarb sie im Krankenhaus. Ihr Ehemann gestand, sie geschlagen zu haben. Er kam in Untersuchungshaft. Zeugen gibt es keine. Und eine juristische Beweisführung, gerade in Afghanistan, ist schwierig. Seit wenigen Tagen ist der Ehemann von Nadja Anjuman wieder auf freiem Fuss. „Nicht nur das“, sagt Maria Bashir, „er heiratet in Kürze auch eine neue Frau“, schüttelt sie ungläubig den Kopf. Maria Bashir ist Herats leitende Staatsanwältin. Als einzige Frau in der Hierarchie der Herater Justiz kämpft sie gegen Korruption und mafiöse Strukturen. Gelegentlich verzeichnet sie Erfolge. „In rund 60 Fällen ist es gelungen Opfern von Gewalt zu helfen“, erzählt sie. Die Widerstände sind gewaltig. Todesdrohungen, Anschläge auf ihr Zuhause – all das hat es bereits gegeben. Kein noch so gut gemeintes „law enforcement“-Programm westlicher Geberländer vermag dies im Handumdrehen zu ändern. Die Kräfte, die hier wirken, sind Generationen alt.
Und sie bewegt sich nicht. Oder doch?
Im vergangenen Jahr war es in Herat so gut wie unmöglich für Studentinnen ein Internet-Café zu finden. Nur ein winziger Teil verfügt zuhause über einen privaten Anschluss. „Das hat sich geändert“, erklärt Huma, „mittlerweile gibt es einige Internet-Cafés für Frauen. Auch solche, bei denen man Männer und Frauen antrifft.“ Grund sei eine gewachsene Offenheit der Herater Zivilgesellschaft: Eltern, Internetbetreiber und Behörden hätten verstanden, dass am Drang von Frauen nach Bildung kein Weg vorbeiführt.
Ist der Internet-chat zuende, hüllen sich die Frauen in den iranischen tashador namaz, der Füsse und Gesicht freilässt, und treten auf die Strasse. Anders als in Kabul traut sich kaum eine Frau in Herat allein mit Kopftuch noch dazu geschminkt auf die Strasse. Herat mit seinen geschätzten 700.000 Einwohnern als drittgrösste Stadt Afghanistans bleibt eine religiös geprägte, konservative Stadt mit Tabus, der Macht der Gerüchte aber auch Fortschritten.
Traurige Berühmtheit hat die Provinz wegen der vielen Fälle erlangt von Frauen, die sich in ihrer Not selbst verbrennen. Auch in diesem Jahr sind es fast einhundert Fälle. Aus Mitteln der Europäischen Union und der französischen Hilfsorganisation Humaniterra wurde ein neue Notstation für Verbrennungsopfer errichtet. (Bild) „Die Frauen verbrennen sich an Gasflaschen oder schütten sich Benzin über den Körper. Verbrennungen dritten Grades können wir oft nicht mehr retten“, so ein Stationsarzt, „anderen können wir durch eine bessere Versorgung und Medikamenten europäischen Standards helfen.“
Eine internationale Hilfsorganisation begleitet seit einigen Jahren Opfer von Verbrennungen mit psychologischer Hilfe. Über die neue Notaufnahme, die zumindest über Anästhesie-Präparate verfügt - ein Privileg im Vergleich zu anderen Stationen - vermag der Programmleiter sich nicht recht zu freuen. „Im neuen Krankenhaus für Opfer von Verbrennungen ist das System korrupt“. Manchmal würden Frauen in Not nur operiert wenn sie Essen und Medikamente selbst bezahlen könnten. Einer der Stationsärzte leugnet das auf Anfrage. Er erzählt, dass neuerdings sogar Männer mit Verbrennungen eingeliefert würden. Ein Junge sei von seiner Mutter mit Benzin übergossen worden, ein anderer habe sofortiges Asyl erzwingen wollen indem er sich anzündete. Vier von fünf jungen Männern seien ihren Verbrennungen erlegen. Das Hauptleid aber tragen nach wie vor die Frauen. Fatima ist 15. Ihr Hals ist überzogen mit Brandwunden, die wie ein hellrosanes Geschwür aussehen, dass nie ganz vernheilen wird. Sie sieht „Tolsi“ für ihr Leben gern, eine indische TV-Soap im afghanischen Fernsehen. Weil ihr Vater dies mit aller Gewalt unterbinden wollte, beschloss sie aus Protest, sich anzuzünden.
Die Frau neben ihr könnte ihre Mutter sein. Ihr Mann habe sie geschlagen aus Ärger über seine eigene Arbeits- und Erfolgslosigkeit. Eine Fehlgeburt habe sie deshalb gehabt. Der Mann habe danach Besserung gelobt. Seitdem hat sie zwei Kinder zur Welt gebracht. „Einige Ehemänner können wir von dem Sinn einer psychologischen Betreuung überzeugen. Für ihre Frauen wohlgemerkt“, so der Helfer, „die Männer selbst lehnen jegliche Hilfe ab.“
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