Samstag, 25. Februar 2012

Die Folgen einer Bücherverbrennung












Nach fast einer Woche der Unruhebn in verschiedenen Orten in rund der Hälfte
der Provinzen von Afghanistan besteht einhellige Verurteilung der Tat,
die die z.T. gewaltsamen Proteste ins Rollen gebracht haben. Weniger klar ist, zumindest im Detail, welcher Anteil der Proteste von politischen oder selbsternannten Anführern manipuliert war. Die überwiegende Anzahl der Berichte internationaler Medien tendieren dazu, islamische Agitatoren am Werk zu sehen, und tatsächlich
hat es solche gegeben, u.a. mit Aufrufen zum Jihad im afghanischen Parlament.
Andererseits ist weitgehend untergegangen, dass der Protest gerade gestern, dem Tag des Freitag-Gebets ruhiger blieb als gemutmaßt. Martine van Bijlert, Analystin beim AAN in Kabul, schreibt, dass „..the outright majority of the population either stayed inside or went home peacefully after attending Friday prayers. Most demonstrations ended without incident and none of them were massive (the largest seem to have counted a few thousand demonstrators). There was anger, for sure, but there was also a lot of restraint. Across the country people have been calling for calm and patience in their communities, not wanting to see more bloodshed. They did not manage to preempt all violence and we may still see nasty riots in the coming days, but it will be difficult for anyone to argue that the rioters are acting on behalf of the whole population.“
Tatsächlich drängt es den größten Teil der Afghanen aus einem auf Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte beruhenden Wissen und Instinkt nicht auf die Strasse. Viele erwarten dort vielmehr eine ihnen unberechenbare Polizei und bewaffnete Anhänger zum Teil zweifelhafter politischer Gruppen, die ihr eigenes Süppchen kochen - so jedenfalls empfindet eine Mehrheit. Ein Bekannter in Kabul (Wohnbezirk Makroryan 3) emailt mir am Abend "... So after prayer when I came out, an average number joined the protest and tried to throw stones on to the Afghan police and so I rushed back home quickly as two military helicopters were monitoring the protests above the protestors. It is right that muslims in general are hurted by this act, but this is not the way to burn everything and be voilent. (...) I don't know whether you watch pakistani and Irani television these days, they use this issue as best as they can to emotionalize the Afghans against Westerners".


Die Unruhen sind vordergründig das Öffnen eine Gewalt-Ventils gegenüber der ausländischen (Militär)Präsenz. Zugleich liefern sie ein weiteres Beispiel für eine Art von Kultur-Kampf, in dem Afghanistan zum wiederholten mal in den letzten Jahrzehnten steckt. van Bijlert schreibt „...those engaging in violence probably think there will be a reluctance to question their actions or call them to account - and they may be right, because who wants to be accused of not caring enough?“ und bemerkt, dass es von nun an moderate bis pro-westliche Stimmen schwieriger haben werden, sich Gehör zu verschaffen.
Tatsächlich drängt - und auch hierfür gibt es genug Beispiele in den vergangenen Jahren, jede Polarisierung der Debatte in Afghanistan, die zwischen unmoralischem Westen einerseits und heilsbringendem Islam andererseits zuspitzt, jenen Teil nuanciert denkender Afghanen in die Defensive. Diese werden dann gerne pauschalisierend als „Handlanger des Westens“ oder der „Immoralität“ bezichtigt, oder - was sozial und in der Öffentlichkeit schwerer wiegt - des Ausscheidens aus der Gemeinde aufrichtiger Muslime angeklagt. Mit diesem Totschlag-Argument funktioniert immer noch ein grosser Teil des politischen Diskurses in Afghanistan.

Zugleich hat ein Teil der Wut und Enttäuschung reale Ursachen. Vom ausländischen Militär erwarten die Menschen Sicherheit und ein Zurückdrängen der Taliban. Stattdessen zieht sich die ISAF, wie jetzt das deutsche Militär in Taloqan, vor den Steinewerfern auf der Strasse, zurück. Politisch ist das ein fatales Signal, bestärkt es doch den Diskurs, der Westen ziehe überstürtzt ab und hinterlasse eine wehrlose Bevölkerung ein weiteres Mal (nach 1989) den Fängen von warlords und Taliban.
Ander als Taloqan liegen die deutschen Militärlager in Norden Afghanistans, aber auch zahlreiche Militär-Camps der US-Amerikaner, längst weit ausserhalb der Städte, ohne nachvollziehbaren Kontakt zur afghanischen Bevölkerung. Das war in den Anfangsjahren bisweilen anders.
Viele Afghanen fühlen ausserdem seit Jahren ihre Würde im eigenen Land mit Füssen getreten. Dieses Gefühl, das wie eine Eiterbeule angeschwollen ist, platzt jetzt auf. Es gehört zum Alltag, dass das ausländische Militär öffentliche Strassen sperrt oder Autos über lange Strecken am Überholen hindert. Der eine Insasse kann seine kranke Frau deshalb nicht rechtzeitig ins Krankenhaus bringen. Ein Anderer hat Angst erschossen zu werden, wenn er eine falsche Bewegung macht. Die unterdrückten Gefühle, die das zurfolge hat, kann man im Umgang mit den Menschen physisch spüren.
Nun (aber warum erst jetzt) stellen alle im Brustton der Überzeugung fest: Das ausländische Militär und damit auch politisch verantwortliche Akteure haben es in den vergangenen zehn Jahren versäumt, ausreichend auf interkulturelle Kompetenz. d.h. Sensibilität im Umgang mit Kultur und Religion in Afghanistan wert zu legen. Offenkundig fängt das mit Versäumnissen am Heimatstandort, vor Entsendung an den Hindukusch, an. Vielen Soldaten ist nicht klar, welche Reaktionen z.B. das Tragen einer schwarzen Sonnenbrille auslösen kann, oder Pinkeln im Stehen unter den Augen afghanischer Frauen.
Schändungen des Koran hat es über die Jahre in mehreren Fällen gegeben. Nicht immer hat die militärische Führung der ISAF dabei so schnell ihre Fehler eingestanden wie jetzt, (wenn Sie es jetzt tut, dann sicher auch, um die andauernden Gespräche für mögliche Verhandlungen mit den Taliban nicht unnötig zu belasten.) So ist viel Kredit verspielt worden, der nicht zurückzuholen ist. 2001 wurden die fremden Truppen anfangs von vielen durchaus willkommen geheissen. Das wird heute gerne vergessen. Aber diesen Bonus hat man leichtfertig verspielt. Etwa dort, wo bei zivilen Opfern in Folge von Luftangriffen Fakten erst einmal bestritten und zu spät reagiert wurde. Mangelnde kulturelle Sensibilität findet man zugegebenermassen aber auch bei einem Teil der zivilen Helfer, insbesondere wenn sie sehr jung und/oder unerfahren ins Land kommen.
Für sie fungiert Afghanistan längst als ein cooler Platz um seinem curriculum vitae ein upgrading in den Augen der Zuhause-Gebliebenen zu verschaffen.
Ein Teil innerhalb es grossen Ganzen, der zu den Schalgzeilen dieser Tage wie der vergangenen Monate gehört, bleibt – aus Gründen, die man ahnt – bisher weitgehend unkommentiert und wenig recherchiert: die tödlichen Übergriffe afghanischer Sicherheitskräfte auf ISAF-Soldaten. Auch sie sind, nach allem was man weiss, weitaus häufiger Ausdruck interkultureller Spannungen und gehen nicht allein auf die Infiltration durch Taliban zurück, wie in den Medien immer wieder gemutmaßt wird. Untersuchungen des US-Militärs dazu liegen vor, nur wurden sie entweder der Öffentlichkeit vorenthalten oder werden aus einer Mischung aus Scham und Selbstkontrolle bisher wenig thematisiert. Jeffrey Bordins Studie „A crisis of trust and cultural incompatibility“, die mittlerweile „unclassified“ ist und die man im Netz herunterladen kann, gibt einen guten Eindruck davon, wie gegenseitige Abneigung entstehen und in Gewalt eskalieren kann.

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