Dienstag, 22. Dezember 2009

Kundus und die Folgen - Lob der Verdrängung













Ein gewaltiges Ausmaß von Vernebelung, Lügen und Verdrängung haben die deutschen Medien im Fall von Kunduz ausgemacht. Untersuchungsausschuss und Berichte, deren Inhalte zum Teil noch unter Verschluss sind, lassen ahnen, dass da noch weitere Details auf uns warten.
Tatsächlich ist die Überraschung weniger gross, als es scheint. Wer den Tatort des Luftschlags kannte, die anfangs gelieferte Begründung und den Umgang der NATO in Afghanistan mit ähnlich hohen „Kollateralschäden“, der war schon am Tag danach mit einem gehörigen Maß an Skepsis ausgestattet. Kundus, das bleibt zu hoffen, dürfte nun eine kritischere Grundhaltung zu offiziellen Verlautbarungen aller Art in Afghanistan zur Folge haben.
Zugleich verläuft die Debatte einseitig. Sie hat Schieflage. So wichtig die Wahrheitssuche über den Luftangriff und nach klaren Einsatzregeln für die Soldaten ist. Es darf nicht vergessen werden: es geht um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Afghanen. Zu deren Unterstützung schicken wir, so das offizielle Credo, unsere Soldaten.
Aus Sicht der einheimischen Bevölkerung geht es weniger um Krieg oder nicht Krieg.
Die Menschen in Kunduz wollen deutlicher als bisher spüren, dass das ausländische Militär etwas für ihre eigene Sicherheit im Alltag tut. Sie nicht nur gegen Taliban schützt, sondern auch gegen Räuber und Banditen, gegen Korruption und Erpressung durch den eigenen Staat. Das aber ist nicht in Sicht. Gerade hat die NATO Karsais neues Kabinett gelobt. Dabei stehen dort nach der erneuten Nominierung vieler Minister die Zeichen auf ein „Weiter so“.
So vernünftig und nachvollziehbar es ist, dass deutsche Soldaten möglichst unverwundbar sind und gewappnet für alle Eventualitäten, koste was es wolle, so sehr darf dies kein Selbstzweck sein. Die Gefahr aber besteht. Die vergangenen Monate und Jahre belegen, dass man auf diese Art die afghanische Bevölkerung verliert. Ziel kann nur eine militärische Taktik sein, die neben der Vertreibung von Aufständischen nicht aud die einheimische Bevölkerung in die Flucht treibt.
Zur Zeit sind wir Zeugen einer wachsenden Entfremdung zwischen Afghanen und NATO- Militär. Nicht weil eine Mehrheit mit den Taliban sympathisiert, sondern weil der militärische Alltag Einschränkungen und Ängste mit sich bringt. Wenn deutsches Militär auf der Strasse fährt machen die Menschen einen Bogen darum. Denn der fremde Soldat zieht womöglich Unheil in Form von Selbstmordattentätern an. Wer mit seinem Auto einen ISAF-Konvoi überholt, muss damit rechnen, erschossen zu werden. Dabei hat er es vielleicht nur eilig und eine kranke Frau im Auto. So erklärt sich warum ein Teil der Afghanen sich Sorgen über eine Ausweitung der Kampfzone macht.
Dieselben Afghanen stimmen zu, dass der Kampf gegen bewaffnete Aufständische geführt werden muss. Allerdings in Kenntnis der genauen Ursachen. Deren Forschung ist acht Jahre lang vernachlässigt worden, wie US-Regierung und -Militär eingestehen. Die ständige Rhetorik eines 'Krieges gegen den Terror', auch durch Obama, vernebelt bis heute wesentliche und oft lokale Ursachen des Konflikts. Dies zu erkennen braucht profunde Kenntnis der afghanischen Kultur, Gesellschaft und Politik. Moderne Aufklärungstechnik hilft da nicht weiter. Gespräche mit Taliban gehören ebenso dazu wie mit integren Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft, die viel zu oft aussen vor bleiben, weil Deutschland und der Westen gewendete warlords stützt.
Die Menschen in Afghanistan wollen Arbeit und eine Perspektive. Sie fragen sich zu Recht, warum keiner so richtig die Bedingungen dafür schafft. Denn der bewaffnete Aufstand kommt auch aus der Armut.
Schieflage aus noch einem Grund: wenn es stimmt, dass Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist, wieso läuft ein immer grösserer Anteil der Hilfsgelder über das Militär? Wer bei der EU in Brüssel z.B. verantwortet dies ? Wieso entscheiden ausgerechnet junge Offiziere in Afghanistan über die Mittelvergabe für Schul- oder millionenschwere Landwirtschaftsprojekte ? Ein Teil der zivilen Helfer hat längst davor resigniert und sich zurückgezogen oder angepasst.
Die Vertuschung um den Luftschlag von Kundus ist wohlgemerkt nur die Spitze des Eisbergs. Der deutschen Öffentlichkeit stehen demnächst womöglich weitere schmerzliche Einsichten bevor. Die jüngste Äffäre um die Firma Ecolog und ihre wenig transparente Arbeit in Afghanistan zeigt auf welchem Boden der Doppelmoral unser Diskurs gegen Korruption in Afghanistan steht. Schwindel und Vernebelung unter deutschen wie internationalen Hilfs- und Beraterorganisationen gehören seit Jahren zum Alltag. Experten, die lange selbst an zentraler Stelle beteiligt waren, sprechen von einem System gezielten Betrugs. Auch hier wissen deutsche Politiker mehr als sie bereit sind zuzugeben. Sie tragen so dazu bei fragwürdige Strukturen zu stützten.
Es ist dies die erste 'Kriegsweihnacht' seit langem. Bedenklicher als die Einlassungen des Verteidigungsministers scheinen Veränderungen in der deutschen Gesellschaft. Renommierte Politikwissenschaftler erklären, deutsche Soldaten müssten kämpfen lernen. Man reibt sich verwundert die Augen. Die gleichen Wissenschaftler wären hilfreich bei der Ursachenforschung, welche strategischen Interessen in Wahrheit die Bundesregierung in Afghanistan leiten. Nicht nur die Politik schweigt sich darüber aus.
Wer verstehen möchte, warum wir seit acht Jahren am Hindukusch von einem Desaster in das nächste schlittern, der muss schliesslich die Afghanen selbst in die Debatte miteinbeziehen. Ist die Einladung der NATO an Russland, sich militärisch kräftig einzuschalten beim künftigen Truppenaufbau Afghanistan mit der Regierung Karsai abgestimmt? Hat jemand die afghanische Bevölkerung dazu befragt. Schon jetzt schmieden 43 Nationen Nationen in Afghanistan mehr oder weniger transparente Pläne. Die Einheimischen können ein Lied von der Kakophonie singen, die dies im Alltag bedeutet. Das Feindbild Russland ist dahinter tatsächlich ein wenig verblichen. Das allein müsste dem westlichen Bündnis zu denken geben.
Die fragwürdige Wiedereinsetzung Karsais trotz gefälschter Wahl, Bagram und Guantanamo, Milliarden, die überwiegend in die Geberländer zurückfliessen – all dies sind Beispiele, dass Afghanistan Spielball der Mächte ist und bleiben wird. Ist es übertrieben zu behaupten, dass da eine Nation politisch vergewaltigt wird? Der Westen hat allein Augen für die Vergewaltigung durch Burka und afghanisches Patriarchat.
'Den Erfahrungen und der Kultur der Afghanen entsprechen' – so hat es zu Guttenberg ausgedrückt. Dazu gehört zu verstehen, wann sich Afghanen bevormundet fühlen ? Zu verstehen, dass Hilfe, die als Umerziehung und Missionierung daherkommt zum Scheitern verurteilt ist. Zu verstehen, dass Schritte zu einer Gesellschaft mit Menschen- und Frauenrechten ihr eigenes Tempo brauchen statt unrealistische Zeitvorstellungen zu oktroyieren.
Schliesslich müssen auch die Medien ihre Hausaufgaben machen. Wo sind die Stimmen von Afghanen in unserem Feuilleton? Wo (mal abgesehen von dem Anwalt Karim Popal) die afghanischen Vertreter in den Talkshows der Illner, Maischberger, Will und Konsorten? Selbst der Bundestag hat jüngst bei einer öffentlichen Anhörung zum desolat verlaufenden Polizeiaufbau in Afghanistan keinen einheimischen Experten befragt. Was würden wir sagen, wenn unsere Nachbarn, die Franzosen oder Polen, 20 Jahre lang den Mauerfall diskutieren ohne einen Deutschen an den Tisch zu laden?
Eigentlich ist damit die Agenda für die Konferenz von London, Ende Januar, von selbst vorgegeben. Wie erfolgreich man dort ist, wird nicht zuletzt davon abhängen wie ehrlich man sich selbst in den Spiegel schaut.

siehe auch Der Freitag

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