Nach Absage der Stichwahl und Reinthronisierung von Karsai als Präsident heute,
erreichen mich aus Afghanistan keine mails von meinen afghanischen Kollegen und Freunden. Keine Entrüstung, kein Aufschrei, keine Schuldzuweisungen.
Das mag man getrost als Anzeichen dafür deuten, dass die 'Rettung des demokratischen Prozesses', die von unseren Politikern und Medien immer wieder beschworen wird, von den Menschen vor Ort von Anfang an mit einer gesunden Distanz und Skepsis verfolgt wurde. In den Augen der Afghanen war das Geschachere um den 2. Wahlgang vor allem eine Angelegenheit des Westens. Das afghanische Volk steht einmal mehr als betrogen da. In seiner Haltung, die auf Erfahrung und nicht auf gelebter Demokratie beruht, ist es realistischer als die Mehrheit der Diplomaten und internationalen Akteure, wie es scheint. Viele internationale Akteure werden sich heute abend die Bettdecke über den Kopf ziehen und sich verkrümeln – denn es gibt gute Gründe, die Kakophonie westlicher Initiativen in diesem Wahl-Fiasko für den tatsächlichen Ausgang (mit)verantwortlich zu machen.
Zunächst verwundert die Chuzpe, mit der die Regierungen im Westen Karsai erneut auf den Schild heben. Derselben afghanischen Wahlkommission hatten sie zuletzt mehrfach das Vetrauen entzogen. Zu spät offenbar, um noch grundlegend die Richtung des auf Grund laufenden Tankers zu ändern, und zu disparat: UNO und US-Diplomatie haben sich in den veragenenen Monaten bekämpft, statt an einem Strang zu ziehen. Karsai hat das ausgenutzt.
Das „besser Regieren“, das Obama Karsai jetzt mit auf den Weg gibt, klingt wie blanker Hohn.
Das Desaster war nur möglich, weil der Westen selbst viel versäumt hat bei, vor und nach dieser Wahl: er hätte intervenieren können, als Monate vor dem Wahltag der Sumpf von Manipulation und tausenden 'Phontomwählern' ruchbar wurde. Er hätte auf einer Interrimsregierung bestehen können im Früjahr, als Karsais Mandat ausgelaufen war, statt ihm einen blanko cheque zur einer eigentlich verfassungswiedrigen Verlängerung des Mandats auszustellen. Er hätte vor allem in den vergangenen acht Jahren die Zivilgesellschaft stärken müssen: z.B. helfen ein Heerschar unabhängiger Wahlbeobachter aufstellen, oder einem Verfassungsgericht Konturen zu geben, das jetzt eigentlich gefragt wäre.
Die mangelnde Legitimität, die Karsai nun besitzt, überträgt sich auf die Geberländer. Real wie propagandistisch. Die PR-Pamphlete der Taliban sind bereits voll davon. Es wird die US-Regierung und und die übrigen Geberländer auf eine merkwürdige Art mit Karsai zusammenschweissen. Man wird abwechselnd auf ihn einprügeln, ihm mißtrauen und andererseits seine Figur weiterhin als Bollwerk gegen mögliche Instabilität ins Feld führen, nach dem Motto das rechtens ist, was die gewohnte (Un)Ordnung gefährdet. Dabei ist der Flächenbrand im Zentrum der afghansichen Macht der äußeren Gefahr mittlerweile ebenbürtig, wie immer mehr eingeweihten Beobachtern auffällt.
Dieser Tag ist auch gut um sich über die Grenzen dessen klar zu werden, was in Afghanistan machbar ist und was nicht. Über das, was halbherzig geschieht (zu wenige Polizei- und Armee-Ausbilder, zu wenig zivile Aufbauhilfe) und das, was – aus Mißtrauen – immer hinausgezögert wird: den Afghanen mehr Verantwortung übertragen. Auch hier hat der Westen sich früh für den Handschlag mit warlords des alten und neuen Kalibers entschieden. Eine Riesenhypothek.
So schreibt denn ein Bekannter, der seit über 30 Jahren Afghanistan als Entwicklungshelfer verbunden ist in eigener Wahrnehmung und Übermittlung einheimischer Befindlichkeiten: „das mit der Stichwahl war vor allem ein Problem fürs Ausland. Die erste Wahl, auf der Karzai gewählt wurde, war auch nicht besser. Aber da wollte das Ausland diesen Herrn. Jetzt wäre man ihn gerne los, hat es aber versäumt, einen Gegenkandidaten aufzubauen. Für die Afghanen waren die Kandidaten allesamt wenig attraktiv. So war dann wohl Karzai für eine Mehrheit noch das kleinste Übel. Es hätte hier niemanden gestört, wenn Karzai und Abdullah sich arrangiert hätten und gemeinsam mit den anderen notorischen Lumpen eine Regierung gebildet hätten. Dann überkamen die ausländischen Politiker ganz unerwartet urdemokratische Empfindungen und sie setzten eine Stichwahl durch. Durch seinen Rückzug unter Protest hat es Abdullah nun geschafft, dass alles beim Alten bleibt.“.
Montag, 2. November 2009
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