Freitag, 13. November 2009
Der Mann aus dem Palast
Foto: Ahmad Zia, 9, mit seinem Koranlehrbuch vor einer Moschee in Tahimani, Kabul.
Der Mann, der mir gegenüber sitzt, kommt gerade „aus dem Palast“, wie er sagt. Anzug und Krawatte hat er gegen Jeans und Lederjacke getauscht. Er ist jung aber von hohem protokollarischen Rang in der Karsai-Administration. Bescheiden und erhaben zugleich nennt er sich ein Mädchen für alles ('jack of all trades').
Wie es mit den Äusserungen des neuen deutschen Verteidigungsministers zu Guttenberg an seinen Chef aussehe, die als 'Bedingungen' in der deutschen Presse die Runde machen ? „Es sieht nicht gut aus“, gibt er zu Antwort, und bezieht sich auf die Forderungen des Westens generell an die neue afghanische Regierung, über deren Bildung zur Zeit hinter den Kulissen heftig verhandelt wird. „Alle internationalen Gäste, die hier vorgesprochen haben zuletzt, verlangen, dass Karsai warlords wie Dostum, Mohaqiq und Fahim aus der Regierungsverantwortung entlässt. Aber das kann er nicht machen“, fährt der Mann, der nicht genannt werden möchte, fort. Karsai habe sein Schicksal in den letzten Jahren in einem Mass an jenes der gewendeten Kriegsfürsten gebunden, das ihm ein tabula rasa nach Wunsch der Geberländer nicht erlaube. Sicher, stimmt er zu, Karsai habe das Spiel mit den einstigen Mujahedin-Führern und Opportunisten der Mache zu weit getrieben, habe Härte und klare Grenzen dabei vermissen lassen. Das räche sich jetzt. Zudem liegen Forderungen derselben nach Posten und Zählbarem aus dem Wahlkampf auf Karsais Schreibtisch.
Fahren da also zwei Züge mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu? Ein Kompromiss nicht in Sicht ? Karsai müsse Zeichen setzen, sagt er, der sich zum inneren Zirkel der Macht zählt, schon wegen der eigenen Glaubwürdigkeit. „In seiner Entourage gibt es jene, die ihn immer wieder auffordern, eine Exempel auf regionaler Ebene zu statuieren. Mit der Entlassung eines korrupten Behördenchefs oder Gouverneurs fern von Kabul anzufangen, um ein Zeichen zu setzen.“ Bisher aber geschieht wenig, wende ich ein. Offenbar, so gibt er zu bedenken, habe Karsai Angst noch mehr Zustimmung zu verlieren in solch einem Fall, aus Sorge dies könne als pauschales Schuldeingeständnis seiner Arbeit gewertet werden. Er spricht von politischer Willensschwäche und es wird klar, dass er Karsai persönlich meint. Aber er gibt auch zu bedenken, dass der Mann mit der Schafsfell-Mütze vielfach gar nicht Herr im eigenen Palast sei. Die amerikanische Regierung, deutet er die wirklichen Machtverhältnisse an, wolle jene Person im Amt sehen, die Briten kämen mit einem weiteren Wunsch. Andererseits rede der Westen mit so vielen Stimmen, dass Karsai im ein oder anderen Fall die Herren in einem Zimmer zurückliesse mit der Bitte, sich erst einmal einig zu werden, bevor sie sich mit einer neuen Forderung an ihn wendeten.
Seine Regierung wisse nicht einmal, was im heftig umkämpften Süden tatsächlich in jeder Sekunde los sei, gesteht er ein. Amerikaner und NATO-Länder betrieben ihre eigene und eigenwillige Informationspolitik und ihren eigenen Krieg. „Der Westen fordert von Karsai, er soll seine Verbindungen zu den Warlords kappen, aber zugleich ist es ein offenes Geheimnis, dass der Westen in den umkämpften Provinzen mit warlords arbeitet um sich Taliban vom Leib zu halten“. Unlängst gab es in Kabul eine denkwürdige Pressekonferenz, in der Karsai die übermächtigen westlichen Verbündeten beschuldigte, Taliban mit ihren eigenen Flugzeugen vom Norden in den Süden zu fliegen und so das Spiel der Aufständischen zu betreiben satt ihnen das Handwerk zu legen. Ein afghanischer Journalist habe Fotos, die dies belegten. Dieser Zeuge sei aber unlängst zu Tode gekommen und das Material offenbar vernichtet. Es ist wie so häufig: die Darstellung der afghanischen Seite und die internationale Sichtweise könnten konträrer nicht sein. Mehr noch: während die internationale Gemeinschaft glaubt, Karsai noch mehr an die Kandarre nehmen zu können steht auf der anderen Seite ihr versprechen nach mehr afghan ownership, d.h. Nach zunehmender Souveränität der Afghanen im eigenen Land. Eine Spannung zum Zerreissen.
Jede Seite hat ihre Argumente, einen Königsweg gibt es nicht. Die aktuelle Regierungsbildung werde sich dadurch verschieben, prognostiziert mein Gesprächspartner. Man darf weiter warten, bis weisser Rauch aus dem verbunkerten Palast im Herzen Kabuls aufsteigt. Süsslich wird sein Geruch mit Sicherheit nicht sein. Der neue deutsche Verteidigungsminister hat insofern gut gebrüllt, fragt sich jetzt wieviel Realpolitik beide Seiten zusammenbringen können und wollen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Mißverständnisse in den letzten 8 Jahren eher gewachsen sind, das Desaster um die jüngste Wahl hat zusätzliches Vertrauen gekostet.
Dienstag, 10. November 2009
20 Jahre Mauerfall: die Afghanische Mauer
Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls bin ich in Kabul. Hier wachsen die Mauern. Real wie in den Köpfen. Nicht erst seitdem die UNO den vorrübergehenden Abzug eines Teils seines Personals bekanntgegeben hat verbarrikadieren sich ausländische Organisationen und ihre Mitarbeiter zunehmend hinter meterhohen Mauern mit meterhohen Stacheldrahtzäunen darauf.
Eine gewisse Schadenfreude über die UN-Tragödie ist kein vereinzeltes Phänomen unter Afghanen. Es häufen sich jene Stimmen, die das afghanische Aufbauprojekt als weitgehend gescheitert ansehen. Eine Erwartung von Abzug, nicht nur des MIlitärs, liegt in der Luft. Zugleich drängt unverändert ein Heer junger Entwicklungshelfer ins Land, die sich hier scheinbar komfortabel in auf den ersten Blick wenig kompatiblen gesellschaftlichen Realitäten einrichten. Sie sind ausgestattet mit zum Teil erheblichen Kompetenzen und gleichzeitig irgendwie immer auf dem Absprung. Zweifel (über überdimensionierte Gehälter, neokoloniale dejà-vus o.ä. scheinen die meisten von ihnen nicht zu kennen). Auszug aus einem Gespräch, gerade aufgeschappt in einem der Kabuler Kaffeehäuser, in denen Mann keine Afghanen trifft:
"- Oh hi,... how are you doing...
-...yeah, great man...
- I'm here for three weeks. got a little thing to do.
- ...sounds interesting. if got a meeting right now. got to hurry...
- ...you got to come and see us in Nigeria. I'll be there next month again...
- ...hello? can I have this coffee with a little bit of cream and sugar please...
- ...service here has gotten better but...
- ...my gosh. seems like you're speaking to. I mean...
- ...2.30 already. I got to go. sorry. my (Afghan) driver is waiting outside. we hired a new one.
the old one was not reliable. you know what I mean...
A propos Mauerfall: nicht nur der bekannte Filmemacher und Freund Siddiq Barmak ('Osama', 'Opium War') vertritt die These, dass die Deutschen den Afghanen und ihrem erfolgreichen Kampf gegen die russischen Invasoren die deutsche Einheit mitzuverdanken haben. Das wäre eine lohnende These für eine interessante Podiumsdiskusson im Kabuler Goethe-Institut gewesen.
Sichtbar im öffentlichen Stadtbild sind - ausser immer mehr Bewaffneter von realen wie phantasierten Armeen und privaten Milizen wie Sicherheitdiensten - Erwachsene und Kinder mit Mundschutz (s. Bild). Auch hier geht die Angst vor Schweinepest um. Hinter der oberflächlichen Gesundheitsvorsorge (ausreichen Impfstoff ist nicht vorhanden, angeblich, so erzählt mir ein Arzt von Lepco, einer angesehenen Gesundheitshilfsorganisation, gerade einmal 50.000 Spritzen. Möglicherweise für die oberen 50.000) Es heisst, die Warnungen des afghanischen Gesundheitsministeriums vor dem Virus hätten in Wahrheit einen politischen Hintergrund: seit 1. November sind Schulen und Hochschulen geschlossen, Jahresendprüfungen ausgefallen, angeblich um von möglichen Protesten von Anhängern des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Abdullah abzulenken und die Wahlfälschungen vergessen zu machen.
Was ichs sonst sehe an einem ganz normalen Tag in Kabul
- ein Mädchen mit wehenden Haaren auf dem Gepäckträger eines Fahrrads, das sich den Weg zwischen den Autos bahnt
- zwei Fußballmannschaften im morgentlichen Staub neben der Schnellstrasse
- Tüten voller Apfel und Weintrauben am Strassenrand
- eine sms, die von einer Explosion in Herat, am anderen Ende des Landes berichtet
- ein afghanischer Angestellter, der mich freudig drückt als ich an der Tür stehe
- die warmen Kichererbsen zum Mittag
- faustgrosse Rosen, die noch duftend langsam vor sich hinwelken
- der Gestank der stehenden Abfälle und Kloake
- Hubschrauber vor meinem Fenster, im Doppelpack, im Tiefflug
- die stimme des BBC-moderators im Radio, die – nicht zum ersten Mal in den vergangenen Jahren - berichtet, dass Al Qaida aus Afghanistan vertrieben sei (da die quelle ein britischer General ist, werden die Afghanen dem mit grösstem Mißtrauen begegenen)
- kleine Mädchen Hand in Hand auf der Strasse, die mir energisch ein 'salam' entgegnen
- die metertiefe Schiessscharte in der Wand des Kulturministeriums
- nochmal junge Mädchen in Plastiklatschen. Unfreiwillige Putzkolonnen. Sie drücken sich an die Aussenscheiben im Schrittempo vorbeifahrenden Autos, erbetteln ein paar Cent
- ein Seitenstrassenkaffee, das bewacht ist von einem privaten Sicherheitsdienst; drinnen ausladende Teller mit grossen Burgern darauf; Asiaten, Afrikaner, Europäer, die mit einer Hand ihre PC-Maus bedienen oder wichtig in Handys sprechen, mit der anderen die Gabel halten und damit in Essen herumstochern
- Kim, eine Anwältin, die von Shirin berichtet, einer afghanischen Massenörderin, die im Gefängnis von Kabul ohne Verteidiger einsitzt.
- Mohsen, einziger afghanischer Autor von Animationsfilmen, der mir seinen neuen Film mit dem Titel 'Hitler' zeigt
- der Öl-Ofen in meinem Zimmer, der mit einer Giesskanne und Benzin gefüllt wird
- ich laufe durch die Butcher-Street, vorbei an der jüdischen Synagoge mit dem einzigen noch lebenden Juden von Afghanistan, Zabulon. Heute klingle ich nicht. Was er wohl macht gerade? Wie lange er noch zu leben hat?
- Matsch an den fußsohlen, wo immer ich heute in ein Auto steige
- eine Stimme im afghanischen Radio berichtet über 20 Jahre Fall der Mauer von Berlin. Hier werden die Mauern immer höher und immer mehr. Die Ausländer kommen immer seltener dahinter hervor. Das Projekt Afghanistan, ein fehlgeschlagenes Joint-Venture aus zivilen und militärischen Komponenten, gehe seinem Ende langsam entgegen, unkt einer. Aufbruchstimmung in düsteren farben.
Montag, 2. November 2009
Wahl ade: Lupenreine Demokraten
Nach Absage der Stichwahl und Reinthronisierung von Karsai als Präsident heute,
erreichen mich aus Afghanistan keine mails von meinen afghanischen Kollegen und Freunden. Keine Entrüstung, kein Aufschrei, keine Schuldzuweisungen.
Das mag man getrost als Anzeichen dafür deuten, dass die 'Rettung des demokratischen Prozesses', die von unseren Politikern und Medien immer wieder beschworen wird, von den Menschen vor Ort von Anfang an mit einer gesunden Distanz und Skepsis verfolgt wurde. In den Augen der Afghanen war das Geschachere um den 2. Wahlgang vor allem eine Angelegenheit des Westens. Das afghanische Volk steht einmal mehr als betrogen da. In seiner Haltung, die auf Erfahrung und nicht auf gelebter Demokratie beruht, ist es realistischer als die Mehrheit der Diplomaten und internationalen Akteure, wie es scheint. Viele internationale Akteure werden sich heute abend die Bettdecke über den Kopf ziehen und sich verkrümeln – denn es gibt gute Gründe, die Kakophonie westlicher Initiativen in diesem Wahl-Fiasko für den tatsächlichen Ausgang (mit)verantwortlich zu machen.
Zunächst verwundert die Chuzpe, mit der die Regierungen im Westen Karsai erneut auf den Schild heben. Derselben afghanischen Wahlkommission hatten sie zuletzt mehrfach das Vetrauen entzogen. Zu spät offenbar, um noch grundlegend die Richtung des auf Grund laufenden Tankers zu ändern, und zu disparat: UNO und US-Diplomatie haben sich in den veragenenen Monaten bekämpft, statt an einem Strang zu ziehen. Karsai hat das ausgenutzt.
Das „besser Regieren“, das Obama Karsai jetzt mit auf den Weg gibt, klingt wie blanker Hohn.
Das Desaster war nur möglich, weil der Westen selbst viel versäumt hat bei, vor und nach dieser Wahl: er hätte intervenieren können, als Monate vor dem Wahltag der Sumpf von Manipulation und tausenden 'Phontomwählern' ruchbar wurde. Er hätte auf einer Interrimsregierung bestehen können im Früjahr, als Karsais Mandat ausgelaufen war, statt ihm einen blanko cheque zur einer eigentlich verfassungswiedrigen Verlängerung des Mandats auszustellen. Er hätte vor allem in den vergangenen acht Jahren die Zivilgesellschaft stärken müssen: z.B. helfen ein Heerschar unabhängiger Wahlbeobachter aufstellen, oder einem Verfassungsgericht Konturen zu geben, das jetzt eigentlich gefragt wäre.
Die mangelnde Legitimität, die Karsai nun besitzt, überträgt sich auf die Geberländer. Real wie propagandistisch. Die PR-Pamphlete der Taliban sind bereits voll davon. Es wird die US-Regierung und und die übrigen Geberländer auf eine merkwürdige Art mit Karsai zusammenschweissen. Man wird abwechselnd auf ihn einprügeln, ihm mißtrauen und andererseits seine Figur weiterhin als Bollwerk gegen mögliche Instabilität ins Feld führen, nach dem Motto das rechtens ist, was die gewohnte (Un)Ordnung gefährdet. Dabei ist der Flächenbrand im Zentrum der afghansichen Macht der äußeren Gefahr mittlerweile ebenbürtig, wie immer mehr eingeweihten Beobachtern auffällt.
Dieser Tag ist auch gut um sich über die Grenzen dessen klar zu werden, was in Afghanistan machbar ist und was nicht. Über das, was halbherzig geschieht (zu wenige Polizei- und Armee-Ausbilder, zu wenig zivile Aufbauhilfe) und das, was – aus Mißtrauen – immer hinausgezögert wird: den Afghanen mehr Verantwortung übertragen. Auch hier hat der Westen sich früh für den Handschlag mit warlords des alten und neuen Kalibers entschieden. Eine Riesenhypothek.
So schreibt denn ein Bekannter, der seit über 30 Jahren Afghanistan als Entwicklungshelfer verbunden ist in eigener Wahrnehmung und Übermittlung einheimischer Befindlichkeiten: „das mit der Stichwahl war vor allem ein Problem fürs Ausland. Die erste Wahl, auf der Karzai gewählt wurde, war auch nicht besser. Aber da wollte das Ausland diesen Herrn. Jetzt wäre man ihn gerne los, hat es aber versäumt, einen Gegenkandidaten aufzubauen. Für die Afghanen waren die Kandidaten allesamt wenig attraktiv. So war dann wohl Karzai für eine Mehrheit noch das kleinste Übel. Es hätte hier niemanden gestört, wenn Karzai und Abdullah sich arrangiert hätten und gemeinsam mit den anderen notorischen Lumpen eine Regierung gebildet hätten. Dann überkamen die ausländischen Politiker ganz unerwartet urdemokratische Empfindungen und sie setzten eine Stichwahl durch. Durch seinen Rückzug unter Protest hat es Abdullah nun geschafft, dass alles beim Alten bleibt.“.
erreichen mich aus Afghanistan keine mails von meinen afghanischen Kollegen und Freunden. Keine Entrüstung, kein Aufschrei, keine Schuldzuweisungen.
Das mag man getrost als Anzeichen dafür deuten, dass die 'Rettung des demokratischen Prozesses', die von unseren Politikern und Medien immer wieder beschworen wird, von den Menschen vor Ort von Anfang an mit einer gesunden Distanz und Skepsis verfolgt wurde. In den Augen der Afghanen war das Geschachere um den 2. Wahlgang vor allem eine Angelegenheit des Westens. Das afghanische Volk steht einmal mehr als betrogen da. In seiner Haltung, die auf Erfahrung und nicht auf gelebter Demokratie beruht, ist es realistischer als die Mehrheit der Diplomaten und internationalen Akteure, wie es scheint. Viele internationale Akteure werden sich heute abend die Bettdecke über den Kopf ziehen und sich verkrümeln – denn es gibt gute Gründe, die Kakophonie westlicher Initiativen in diesem Wahl-Fiasko für den tatsächlichen Ausgang (mit)verantwortlich zu machen.
Zunächst verwundert die Chuzpe, mit der die Regierungen im Westen Karsai erneut auf den Schild heben. Derselben afghanischen Wahlkommission hatten sie zuletzt mehrfach das Vetrauen entzogen. Zu spät offenbar, um noch grundlegend die Richtung des auf Grund laufenden Tankers zu ändern, und zu disparat: UNO und US-Diplomatie haben sich in den veragenenen Monaten bekämpft, statt an einem Strang zu ziehen. Karsai hat das ausgenutzt.
Das „besser Regieren“, das Obama Karsai jetzt mit auf den Weg gibt, klingt wie blanker Hohn.
Das Desaster war nur möglich, weil der Westen selbst viel versäumt hat bei, vor und nach dieser Wahl: er hätte intervenieren können, als Monate vor dem Wahltag der Sumpf von Manipulation und tausenden 'Phontomwählern' ruchbar wurde. Er hätte auf einer Interrimsregierung bestehen können im Früjahr, als Karsais Mandat ausgelaufen war, statt ihm einen blanko cheque zur einer eigentlich verfassungswiedrigen Verlängerung des Mandats auszustellen. Er hätte vor allem in den vergangenen acht Jahren die Zivilgesellschaft stärken müssen: z.B. helfen ein Heerschar unabhängiger Wahlbeobachter aufstellen, oder einem Verfassungsgericht Konturen zu geben, das jetzt eigentlich gefragt wäre.
Die mangelnde Legitimität, die Karsai nun besitzt, überträgt sich auf die Geberländer. Real wie propagandistisch. Die PR-Pamphlete der Taliban sind bereits voll davon. Es wird die US-Regierung und und die übrigen Geberländer auf eine merkwürdige Art mit Karsai zusammenschweissen. Man wird abwechselnd auf ihn einprügeln, ihm mißtrauen und andererseits seine Figur weiterhin als Bollwerk gegen mögliche Instabilität ins Feld führen, nach dem Motto das rechtens ist, was die gewohnte (Un)Ordnung gefährdet. Dabei ist der Flächenbrand im Zentrum der afghansichen Macht der äußeren Gefahr mittlerweile ebenbürtig, wie immer mehr eingeweihten Beobachtern auffällt.
Dieser Tag ist auch gut um sich über die Grenzen dessen klar zu werden, was in Afghanistan machbar ist und was nicht. Über das, was halbherzig geschieht (zu wenige Polizei- und Armee-Ausbilder, zu wenig zivile Aufbauhilfe) und das, was – aus Mißtrauen – immer hinausgezögert wird: den Afghanen mehr Verantwortung übertragen. Auch hier hat der Westen sich früh für den Handschlag mit warlords des alten und neuen Kalibers entschieden. Eine Riesenhypothek.
So schreibt denn ein Bekannter, der seit über 30 Jahren Afghanistan als Entwicklungshelfer verbunden ist in eigener Wahrnehmung und Übermittlung einheimischer Befindlichkeiten: „das mit der Stichwahl war vor allem ein Problem fürs Ausland. Die erste Wahl, auf der Karzai gewählt wurde, war auch nicht besser. Aber da wollte das Ausland diesen Herrn. Jetzt wäre man ihn gerne los, hat es aber versäumt, einen Gegenkandidaten aufzubauen. Für die Afghanen waren die Kandidaten allesamt wenig attraktiv. So war dann wohl Karzai für eine Mehrheit noch das kleinste Übel. Es hätte hier niemanden gestört, wenn Karzai und Abdullah sich arrangiert hätten und gemeinsam mit den anderen notorischen Lumpen eine Regierung gebildet hätten. Dann überkamen die ausländischen Politiker ganz unerwartet urdemokratische Empfindungen und sie setzten eine Stichwahl durch. Durch seinen Rückzug unter Protest hat es Abdullah nun geschafft, dass alles beim Alten bleibt.“.
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