Freitag, 8. Mai 2009
Exit Iran
Auf einmal ist alles anders. Fast alles. Die Sprache ist gleich. Fast gleich, zwischen Iran und Afghanistan. Nur einige Worte sind anders. ‚Darya’ heisst Fluss auf Dari, See auf Persisch. Vor meinen Augen gleitet beides entlang. Rinnsaale, die zu Seen geworden sind. Flüsse, die über die Ufer treten. Seit über 24 Stunden regnet es Bindfäden. Deutsches Wetter. Der Grenzübergang Islamghale geht in Matsch unter. Noch bestimmt der pirhan tamban das Bild, die unerwechselbar weiten, im Wind flatternden Hosen mit langem Oberhemd. Vorbei an freundlichen, bisweilen verspielten afghanischen Grenzposten. Iranische Grenzbeamte tragen ernstere Minen.
Ein kleiner Junge schiebt im Schlamm meinen und anderer Leute aufgestapelte Koffer auf einem Karren vor sich her, die Füsse versinken im Dreck. Der Junge mag zehn sein. Die rostig klammen Räder seines Arbeitsvehikels, aus ein paar Planken Holz notdürftig zusammengezimmert, erinnern mich an Bilder von KZ-Häftlingen. Afghanische Kinder kennen keine Kindheit.
Dann bin ich auf der anderen Seite. Auf einmal ist alles anders. Fast alles.
Die pirhan tambans sind aus dem Stadtbild verschwunden. Auf dieser Seite tragen die Hirtenjungen Jeans und festeres Schuhwerk. Die Strassenbefestigungen sind befestigt. Die Autos mit Windschutzscheiben ohne Bruch.
Mit vier anderen Beifahrern besteige ich ein Taxi. Der Polizist am Ausgang des Grenzpostens wühlt in meiner Tasche. Ein Dutzend DVD sind da, gekauft in Afghanistan. Er nimmt sie an sich. Lässt mich mit wichtiger Mine zurück. Winkt mich zu sich. Schickt mich wieder zurück. Das alles erinnert mich irgendwie an den Grenzübertritt als es noch ein geteiltes Deutschland gab. Hilflos den Autoritäten aus einem totalitären Staat ausgeliefert.
Nach ein paar Minuten bekomme ich meine DVDs zurück, mit einem Lächeln. Eine kleine Demonstration der Macht. Es folgen weitere Polizei-Posten. Kein Persisch sprechen, bekomme ich von meinen Mitfahrern eingetrichtert. Was in Afghanistan von Vorteil sein kann, könnte die iranischen Behörden misstrauisch machen. Noch dazu sitzt eine Iranerin neben mir im Taxi.
Der Taxi-Fahrer ist ein Gegner des Regimes. Er schimpft mit sanfter Stimme aber entschieden. “Die Wahlen im nächsten Monat sind eine Farce. In Städten mit 3 Millionen Einwohnern werden 4 Millionen Stimmen für Ahmadinejad gezählt werden. So machen sie es seit Langem.“ Chatami, der potentielle Hoffnungsträger, habe resigniert zurückgezogen weil Chamenei und die Anderen an den Hebeln der Macht sich für ein „weiter so“ entschieden hätten.
Mit Obamas ausgetreckter Hand verbinden sie relativ wenig Hoffnung auf Besserung. Oder fehlt es am Glauben zur Veränderung? Sein Name fällt erst auf Nachfrage. Einer meint, die Geistlichen würden auch diesen Herausforderer aussitzen.
Der Taxifahrer guckt mich durch den Rückspiegel an. Zwinkert mir zu, ein Lächeln mit Weltschmerz, Leiden an seiner Heimat. Er freut sich, dass er seinen Frust loswerden kann, unbehelligt.
Die Autobahn ist jetzt vierspurig. In Mashhad steige ich in den Flieger nach Tehran. Iranerinnen tragen den schwarzen tshador namaz, dicke Schminke darunter. Sie bewegen sich selbstbewusster als dort, wo ich gerade herkomme. Eine stemmt ihren Ellenbogen in der Warteschlange gleich neben mir in die Hüfte, schaut mich kess und zugleich gelangweilt an, scheut die Nähe nicht und dreht sich langsam wieder weg. Undenkbar, dort.
Teheran ist ein Lichtermeer von oben. Ganz Afghanistan könnte vermutlich damit erleuchtet werden. Hier gibt es Hochhäuser, volle Kühlschränke, Bankautomaten, dicke Tageszeitungen.
Ich bin wieder im Westen.
Iran bleibt ein verletzter Riese Asiens. Provozierend nach Westen, ausgleichend nach Osten, meint Tom Koenigs in einem Interview als Erfahrung seiner Afghanistan-Zeit. Iran ist viertgrösster Erdöl-Produzent und doch zunehmend Importeur von Öl. Aus dem Radio in meinem Hotel-Zimmer kommen politische Aufbau- und Durchhalte-Parolen, die mich an die DDR erinnern.
Die Absurdität des Feindbilds Iran wird mir einmal mehr deutlich, als ich im Studienzimmer eines schiitischen Schülers der Sader-Madrassa in Isfahan sitze. Ich bin umgeben von aufgeklärten Gläubigen, wie an einem ausgewiesenen deutschen Priester-Seminar, nicht von Fundamentalisten.
Iran hat seine Türken. Es sind die Afghanen, vermutlich rund drei Millionen. Die meisten illegal arbeitende Bevölkerung. „Sie machen die Jobs, die die Iraner nicht machen wollen“, meint ein Taxifahrer in einer Mischung aus Anerkennung vor ihnen und Scham über seine eigenen Landsleute. Kein Meer an Neubauten und Hochhäusern in Tehran ohne die Afghanen. Das Bild zeigt einen jungen Afghanen in Isfahan, der Wolle bei 45 Grad in einem Trockenraum bewegt.
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