Samstag, 25. Juni 2016

Brexit, Migration & Afghanistan


On the day after England's exit from the European Union - a hazardous referendum choice, full of unanswered questions and political threats at the European level (see inbetween others Timothy Garton Ash's essay here - it is clear that not only is the British society deeply devided between young and old, urban and rural, educated and less-educated; without any doubt the migration crisis of the last months and the immigration realities which the country is confronted with, have had consequences in the result of the referendum. A long time Afghan collegue, familiar with both, the British and the Afghan world, and for some years already living in England writes on the result: "This was coming and i am really surprised the elites didn't see it. they have their heads stuck up their arses and even after firm rejection of status quo they see this as fluky aberration. the main concern for leaving the EU was immigration and this is based on unfounded assertions about the impact and nature of immigration. The public parroted the fears of the establishment which is set by the elites or influential apparatus of capitalism i.e. media, celebrities, social media - the proxies. for decades the elites and their proxies have been banging on about immigration blaming the others for their own shortcomings and now they are surprised why middle England is driven by xenophobia. added to this mix is the EU which is a rigid institution with round headed rules that constantly tries to control more of our lives. this process of capital and power accumulation by oligarchy creates a burlesque culture marked by lethargy, trivia, apathy. the public is easily distracted and misinformed, a hotbed for xenophobia to become the political drive. As an Afghan who doesn't enjoy the protection of a state I can assure you the establishment has been out for me and their assault on basic individual rights are so appalling and grievous that it undermines the rule of law but also decency and kindness. changing leave rules and imposing restrictions have been only tolerable because I had no place to go and this has been done to create content for an anti immigration agenda. feeding into public fear, making a programme out of vulnerable people, dehumanising the others have all been the politics of establishment. it was bound to nurture the current political climate. what i find fascinating the most is the liberals. they are furious because this has offended their sense of identity while many non-white/non-EU people have lived for decades a dignified and honourable life in a culture marred by racism and institutionally xenophobic. --- This sentiment is also echoed by some of the British native comments, critical of themselves and of the 'establishment'. Maya Goodfellow a young freelance journalist from London draws a bridge to the European phenomenon involved in the vote: "The core element of the whole campaign: messages filled with hatered about migrants. Immigrants were made scapegoats in this campaign at any occasion, being demonized. A rhetoric that had been built up by our politicians and the media in recent years. But anti-immigration rhetoric is also a phenomenon that is sweeping all across Europe. It has become a common truth, to make foreigners responsible for all our problems. This is in many ways a return to the 1930s; also back than did hatred and fear characterize the political and public fields. It is a mindset that we must under no circumstances allow to continue to grow." --- A few days ago, ZENITH, a reknown German political magazine for Western-Eastern relations and the dialogue with the islamic world, asked me about a comprehensive essay on the exodus of the young Afghan generation to the old continent and about the EUROPEAN DREAM of the Afghan generation 2.0. The text is in German here as of now, the English version is to follow shortly. ________________________________________________ Am 24. Februar landet auf dem internationalen Flughafen in Kabul ein Sonderflug aus Deutschland. An Bord der Smartwings-Maschine, einer tschechischen Billigfluggesellschaft, sind 125 Passagiere. Alles afghanische Flüchtlinge und Migranten, die in ihr Heimatland zurückkehren. Freiwillig, wie die Bundesregierung betont. Denn Zwangsabschiebungen würden angesichts des Bildes in den Medien, um das sich die Regierung Merkel bemüht, den Eindruck von Mildtätigkeit stören. So erklärt Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der zuvor mehrfach mit der Regierung in Kabul über die Rücknahme des ersten Kontingents verhandelt hatte, man wolle den Rückkehrern »wieder eine Existenz und Lebensperspektive schaffen«, und weiter auf »Hilfe zur Selbsthilfe« setzen. Als Zubrot zur freiwilligen Rückkehr erhalten die Afghanen eine Anschubfinanzierung von wenigen Hundert Euro. In Kabul reicht dies allerdings für einen Neustart kaum aus. Die Stadt lebt im Rhythmus von Teuerungsraten. Und die meisten Afghanen, die vor Monaten nach Deutschland und Europa geflüchtet sind, haben neben dem erheblichen Risiko auch hohe Schulden angehäuft. So der afghanische Asylbewerber Khodaye, der ebenfalls im Februar nach Afghanistan zurückkehrt ist. Der 24-Jährige, der über Pakistan und den Iran nach Europa geflohen war, ist allerdings nie richtig in Deutschland angekommen. Er berichtet über katastrophale Zustände am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Syrische Flüchtlinge seien dort nach seinem Eindruck bevorzugt worden. Am Ende, so gibt er an, hätten Übergriffe des Wachpersonals und Gefühle der menschlichen Erniedrigung ihn bewegt, wieder an den Hindukusch zurückzukehren. In Afghanistan war Khodaye Polizist. In Deutschland gab er an, von den Taliban verfolgt zu sein. »Ich habe Taliban getötet. Die kennen mich, mein Leben war in akuter Gefahr«, erzählt er deutschen Medien über seine Arbeit in der Heimatprovinz Baghlan im Norden Afghanistans. Trotzdem will er sich wieder der Polizei anschließen. In keinem anderen Beruf sterben in Afghanistan so viele Sicherheitskräfte durch Anschläge. Wer keinen Berufsabschluss hat, für den kann die Polizeiarbeit immerhin ein lohnendes Ziel sein. Baghlan ist ehemaliges Einsatzgebiet der Bundeswehr und grenzt an die Provinz Kunduz. Kunduz symbolisiert für die deutsche Politik und Bevölkerung die zahlreichen Traumata des Afghanistan-Einsatzes. Im April, knapp ein halbes Jahr nachdem die Taliban 2015 Kunduz für kurze Zeit zurückerobert hatten, stehen radikale Kämpfer erneut vor den Toren der Stadt. Zwar ist die Zahl afghanischer Sicherheitskräfte in den vergangenen Monaten und nach diversen Pannen im Sicherheitsapparat verstärkt worden. Aber das Grundübel – zu wenige, wenig spezialisierte paramilitärische Polizisten, zu wenig Spezialkräfte und verlässlichere Milizen in der Fläche – bleibt unverändert bestehen. Der Fall Kunduz kann auch erklären, warum die Menschen in Afghanistan über die Jahre kein Vertrauen in den Staat fassen und sich längst nach Alternativen außerhalb des Landes umsehen. Zumal der Abzug der ISAF- und NATO-Truppen aus dem Land nach Expertenmeinung übereilt erfolgt ist und eine nun schon über mehrere Jahre andauernde tiefe ökonomische Depression ausgelöst hat. Die ohnehin bestehende Massenarbeitslosigkeit unter jungen Menschen birgt ihrerseits das Risiko politischer Radikalisierung. So bieten der »Islamische Staat« (IS) (in Afghanistan Daesh genannt, falls ihr das austauschen wollt) und die Taliban jungen Rekruten oft mehr Geld, als es die staatliche Polizei vermag. So bleibt die Losung »neue Lebensperspektiven für die freiwilligen Rückkehrer« vor allem ein Wunsch. In der Mehrzahl der Provinzen ist die Lage instabil und unsicher. Aufständische gewinnen eher an Terrain als umgekehrt. Die Kabuler Regierung möchte zwar mithilfe der USA, Pakistans und Chinas so rasch wie möglich in Gespräche mit den Taliban einsteigen. Die aber zeigen keine Eile und haben eine erneute Frühjahrsoffensive gestartet, angefangen mit einem vernichtenden Anschlag im Herzen Kabuls Mitte April 2016. Zugleich bemühen sich afghanisches und US-Militär der Gefahr durch Daesh im Nordosten des Landes mithilfe von Drohnenangriffen Herr zu werden. Und so macht es wenig Sinn, Afghanen, die nach Deutschland kommen in Wirtschafts- oder politische Flüchtlinge aufzuteilen. Wirtschaftliche Gründe für Flucht und Migration gehen in Afghanistan immer mit fehlender Sicherheit einher. Beobachten lässt sich das etwa am Busbahnhof von Kabul. Hier im Nordwesten der Stadt trifft man noch (?? ohne besser) Minder- wie Volljährige. Bärtige in Perhan Tamban, dem traditionellen weiten Hemd mit Pluderhose, und rasierte junge Männer in Jeans, die für ein Busticket in den Iran anstehen. Zwar ist der Andrang mittlerweile gesunken. Die Nachricht von der versperrten Balkanroute hat sich in Kabul verbreitet. Trotzdem ist die Nachfrage nicht zum Erliegen gekommen. »Nimroz, Nimroz«, schreit ein Verkäufer mit Patu, einer Decke aus Schafswolle, die er auf seinen Schultern trägt. Ein Jugendlicher, 17 Jahre alt, sucht nach einer Mitfahrt für umgerechnet 10 US-Dollar: »Ich will in den Iran und von da aus weiter. Hier gibt es keine Sicherheit, keine Chance, zwei Dollar am Tag zu verdienen. Deutschland, habe ich gehört, ist sicher. Da gibt es Arbeit und Fabriken.« Ob der Junge aus eigenen Stücken geht oder von der Familie als Vorhut geschickt wird, bleibt unklar. Neben ihm steht ein Busfahrer, der zwischen iranischer Grenze und Kabul pendelt. »Es fahren selbst 13- und 14-Jährige von hier ab. Sie suchen Arbeit. Die Menschen sind unzufrieden mit der Regierung, weil sie keine neuen Beschäftigungsmöglichkeiten schafft«. Damit nicht noch mehr Afghanen nach Deutschland kommen, hat die deutsche Botschaft in Kabul im Herbst 2015 begonnen, große Plakate auf den Straßen von Kabul anzubringen. »Afghanistan verlassen? Haben Sie sich das gut überlegt?«, steht darauf in den Landessprachen Dari und Paschto. Die Facebook-Seite »Rumors about Germany« will zudem Gerüchte zerstreuen. »Deutschland ein Einwanderungsland? Nein. Illegale Einreise wird strafrechtlich verfolgt«, ist dort zu lesen. Das Auswärtige Amt nennt es eine Aufklärungskampagne. Menschenrechtsorganisationen sehen vor allem den abschreckenden Effekt. Von einem Arbeitsverbot für Asylbewerber in Deutschland etwa haben die Reisenden am Busbahnhof in Kabul keine Vorstellung. Sie geben sich optimistisch, auch trotzig: »Wenn wir Europa erreichen, werden wir ganz unten anfangen, um etwas zu verdienen und es unseren Familien daheim schicken«, so ein Mann. Sharif, Student der Ingenieurwissenschaften an der Universität Kabul, hilft mir bei der Übersetzung. »Mein eigener Bruder ist nach Deutschland ausgewandert. Er hat Wirtschaft im 2. Semester studiert. Dann hörte er plötzlich auf, zur Uni zu gehen. Er hat nur noch zuhause rumgesessen. Ein Verwandter in Deutschland hat ihm von den Vorzügen erzählt. Sie haben über Facebook gesprochen. Er hat erzählt, dass er dort weiterkommen und vielleicht Karriere machen könne. Das hat ihn ganz verrückt gemacht«, erzählt er auf dem Rückweg zur Universität. Mitauslöser der Massenauswanderung seit 2015 sind vor allem Facebook-Netzwerke, so der Fotograf Massoud Hosseini: »Es kursieren dort allerlei Gerüchte. Etwa dass Angela Merkel an alle Muslime gerichtet gesagt habe soll: ›Fahrt nicht nach Mekka, sondern lieber nach Europa! Deutschland wird euch menschlich behandeln und aufnehmen‹.« Hosseini ist Anfang dreißig und reist viel ins Ausland. Bisher kehrt er immer wieder zurück: »Die Hälfte meiner Freunde ist unterwegs nach Deutschland: Künstler, junge Autoren, mit denen ich immer zum Kaffee saß. Es ist ein Desaster.« Kritiker der Pläne zur freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan sitzen unverändert im afghanischen Parlament. Beim Minister für Flüchtlingsfragen, Alemi Balkhi, finden sie Rückhalt. Solange Krieg herrsche in Afghanistan, gebe es eine Verpflichtung des Westens, Flüchtlinge nicht zurück zu schicken, finden viele Abgeordnete. »Wir können die massenhafte Emigration momentan nicht stoppen«, so Balkhi vor dem Parlament. »Es ist unmöglich, die Menschen physisch am Auswandern zu hindern. Keine Institution kann das verbieten. Ein Teil verlässt das Land mit Hilfe von Schmugglern. Das entzieht sich dem Auge der staatlichen Behörden.« Tatsächlich wird viel über organisierte Schlepper-Ringe am Hindukusch berichtet. Unklar ist, ob die afghanischen Sicherheitskräfte ihnen nicht Herr werden können oder wollen. Noch unlängst haben Schlepper die Wirtschaftskrise für ihre Zwecke genutzt. Für die Reise nach Europa forderten sie reduzierte Preise von 6.000 bis 7.000 US-Dollar statt zuvor 10.000 bis 15.000, erzählen die Menschen am Busbahnhof. Da hilft es wenig, dass die Politik in Berlin gelegentlich mit der Kürzung der Entwicklungshilfe droht. Thomas Ruttig, Co-Direktor des »Afghanistan Analysts Network«, einer Forschungseinrichtung in Kabul, findet das wenig glaubwürdig: »Da fehlen mir die Worte, wenn ich das höre. Vielleicht sollte der Minister mal in den Berichten unbescholtener Organisationen wie Oxfam, UN und Weltbank über die Effektivität von Entwicklungshilfe im Land nachlesen. Und wie viel davon zurückgeflossen ist. Die Weltbank rechnet, dass nur 15 bis 30 Prozent ›in-country impact‹ hatten, also tatsächlich Veränderungen im Land angestoßen haben. Dazu kommt die Korruption, die ja nicht nur auf afghanischem Boden gewachsen ist, sondern die wir ja mit gefördert haben.« Klar ist: Afghanistan erlebt seit Monaten einen dramatischen »Brain Drain«, der auch und vor allem die urbane Mittelschicht betrifft. »Die Mittelklasse verfügt über finanzielle Reserven für die Reise nach Europa. Wenn aber immer mehr junge, gebildete Menschen Afghanistan verlassen, wird das zur Gefahr für Stabilität und Sicherheit des Landes«, meint der Philosoph und Islamwissenschaftler Ali Amiri. Amiri ist Mitbegründer einer Universität, die selbst massiv betroffen von der Abwanderung ist: »Bereits 280 unserer Studenten – junge Männer wie Frauen – kommen nicht mehr zum Unterricht. Sie sind jetzt in Hamburg und in Köln. Aber ich möchte klarstellen: Ich habe Niemanden dazu animiert. Im Gegenteil.« Amiri nennt die Flucht einen beispiellosen kulturellen Wandel unter jungen Afghanen: »Wir reden hier von einem europäischen Traum vieler junger Leute. So wie es einen amerikanischen Traum gibt. Von Europa geht eindeutig eine Magie aus. Eines dürfen wir nicht vergessen: Viele junge Menschen in Afghanistan und den islamischen Ländern akzeptieren längst nicht mehr die Werte und Traditionen, wie sie von den Älteren vorgelebt werden. Dazu kommt die Anziehungskraft, die Europa auf sie ausübt.« Zuletzt gingen Initiativen von der afghanischen Zivilgesellschaft und von offizieller Seite aus, die über Spots in Zeitungen, Radio und Fernsehen zum Bleiben animieren. – mit begrenztem Erfolg. Wenige Hundert Meter Luftlinie vom Busbahnhof und der Universität Kabul entfernt wohnt Esanullah. Er arbeitet bei einer afghanischen Regierungsbehörde, die für die Stabilisierung und den Aufbau in den 36 Provinzen zuständig ist. Die rapide Auswanderung wundert ihn nicht. »Die Menschen spüren, dass die Regierung Ghani nicht liefert, was sie versprochen hat.« Esanullah ist ein Rückkehrer der anderen Art. Kein Flüchtling, sondern ein erfolgreicher Student, der etwas bewegen möchte in seinem Land. Er gehört zur neuen afghanischen Elite und ist mit einem Master der Universität York in England aus dem Ausland zurückgekehrt. Stolz hängt das Foto, das ihn mit Doktorhut und Abschluss-Diplom im Arm zeigt, gerahmt über seinem Schreibtisch. Mit viel Hoffnung ist er nach Kabul zurückgekehrt. »Die Regierung versagt. Sie verliert rapide an Vertrauen. Seit drei Monaten habe ich kein Gehalt mehr bekommen. Wenn du der eigenen Regierung nicht mehr trauen kannst, fängst du an, dir Gedanken zu machen«, stellt er nun desillusioniert fest. Fakt ist auch: Für die aktuelle Misere in Afghanistan tragen Deutschland und der Westen eine gehörige Mitverantwortung. Die westlichen Staaten finanzieren weiterhin den Löwenanteil des afghanischen Staatshaushalts. Zugleich sind wirtschaftlicher Aufbau und der Versuch die Institutionen über »Nation Building« zu stärken negativ verlaufen, gemessen an allen Prognosen. Bei positiverem Verlauf wären die meisten Menschen heute vermutlich nicht auf der Flucht. Eine Lösung wären effektivere Hilfen von Anfang an für die afghanische Wirtschaft gewesen. Wohnungsbauprogramme etwa, die Menschen langfristig in Arbeit bringen und Bedürftigen ein Dach über dem Kopf geben. Robuste Hilfen für afghanische Industrie und Landwirtschaft. Förderung von Solarenergie auch. Projekte, die das Land nicht nur als Absatzmarkt für deutsche und ausländische Waren begreifen. Bis 2006 hätte man so Fundamente legen können. Da waren die Taliban noch nicht erstarkt. Jetzt haben viele resigniert, auch weil Korruption oder gewendete Warlords herrschen. Und es sind die Geberländer, die viele gewendete Warlords an die Macht gebracht haben.