Mittwoch, 21. Oktober 2009

Schatten auf der Stichwahl








Kann man das Falsche tun, indem man das Gebotene beherzigt? Lässt sich Glaubwürdigkeit wieder herstellen, in dem man der Verfassung genüge tut? Können Akteure, die aktiv oder passiv Wahlfälschung unterstützt haben, die Demokraten von morgen sein?
Es gibt gute Gründe, die Entscheidung für eine Stichwahl in Afghanistan eine demokratische Scheinübung zu nennen. Nicht nur, weil es beim zweiten Wahlgang keinerlei Garantie gegen erneute Fälschungen gibt (es werden sogar deutlich weniger unabhängige Wahlbeobachter zugegen sein als zur ersten Runde im August). Die Stichwahl dient der Gesichtswahrung des Westens, der Karsai aber auch sein eigenen Aufbauziele und -rhetorik sonst kaum mehr halten könnte. Selbst wenn Karsai die Stichwahl gewinnt, bleibt mehr als ein Makel. Im Grunde kann Karsai Demokratie, wie sie den Geberländern vorschwebt, nicht mehr glaubwürdig verkörpern.
Das wird auch Konsequenzen haben für die Debatte um die Verlängerung der militärischen Mandate. Immer mehr sickert zudem durch, dass er mächtig zur Anerkennung der revidierten Auszählung getrieben werden musste. Keine gute Grundlage für das gemeinsame Ausarbeiten künftiger Strategien im Übrigen.

Unter meinen afghanischen Kollegen reagieren viele mit deutlich kritischem Unterton.
Einer von ihnen stellt die Gretchenfrage: “My concern is that no one recognizes Afghanistan as a country. All see this country as a battlefield and board for political games. If fraud is a crime why is Karzai still permitted to go to the second round? If fraud is not a crime so why we go to the secound round?” Diese Fragen richten sich ebenso an eine werdende Nation, die über keine unabhängige Justiz verfügt, wie an die Adresse jener internationalen Akteure, die seit geraumer Zeit mit doppelten Standards in Afghanistan operieren. Die Diskrepanz lässt sich nun immer seltener verbergen.
Eine Bekannte, die vor zwei Monaten noch in leitender Funktion für FEFA, der einzigen grösseren unabhängigen afghanischen Wahlbeobachterorganisation, tätig war, schreibt unmißverständlich:
„I am not too excited about this whole run-off thing. Too much money, too much risk. I don't think most people will participate either... and what are the guarantees that there won't be fraud again?”
Triumphgefühle, die westliche Diplomatie hätte der afghanischen Bevölkerung einen Dienst erwiesen, sind damit unangebracht. Aussagen, Karsai sei rechtzeitig eine Lektion erteilt worden, enthalten das Fünkchen Missionierungsgeist zuviel, und sollten am Besten nicht zu der Annahme veranlassen, das Pendel könne nicht auch hier zurückschlagen.
Wieder einmal lohnt es sich, genau auf das afghanische Echo zu hören, das uns viel lehrt, darüber, wie Demokratie konjugiert wird von den Menschen. Der Blog des Afghan Analysts Networks ist ganz aufschlussreich in dieser Hinsicht. Ich zitiere draus eine Frau aus Kabul: "We’re going to have another election but we still have no candidate we would want to vote for.”

Das tatsächliche Ergebnis dieser Wahl werden wir, ähnlich wie im Iran, vermutlich nie erfahren. Anders als in Persien verfügt der Westen aber am Hindukusch über ungleich mehr Einfluss. Man kann auch hier von Versäumnissen reden. Etwa bei der Frage, warum in den vergangenen Jahren und angesichts einer weitverbreiteten Skepsis über die afghanischen Politiker, kaum Anstrengungen unternommen worden sind, afghanische Wahlbeobachter und ihre Organisationen in grossem Stil zu stärken. Ähnlich wie bei der Ausbildung des Militärs wäre hier Klotzen statt Kleckern angesagt gewesen. Man hätte z.B. ein Heer unabhängiger Wahlbeobachter ausbilden müssen, mit staatlich verbriefter Autorität. Stattdessen trieben Tausende Parteigänger der Kandidaten am und um den Wahltag ihr Unwesen. Manipulation und Einschüchterung waren damit Tür und Tor geöffnet.
Es rächt sich jetzt auch das Präsidialsystem, wie es sich Karsai mithilfe der US-Regierung maßschneidern liess: keine Parteien, die ihm in die Suppe spucken. Stattdessen Absprachen mit Technokraten und ehemaligen warlords samt ihres bewaffneten Anhangs. Diese Sünden der neuen afghanischen Demokratie werden bis heute sanktioniert durch die Geberländer. All das ist, man ahnt es, ein gefundenes Fressen für jegliche Opposition, sei sie demokratisch oder fundamentalistisch.